Gemeinwohl-relevante öffentliche Güter. Die politische Organisation von Infra­strukturaufgaben im Gewährleistungsstaat​

Infrastruktur gewährleisten

Von wem Infrastrukturen wie bereitgestellt werden und in welche gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen dies eingebettet ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. Seit den 1980er Jahren wurden staatliche Leistungen „liberalisiert“, (teil-)privatisiert und neuen Modellen der Wettbewerbssteuerung unterworfen. Orientiert hat man sich dabei am Leitbild des „Gewährleistungsstaates“. Gemäß diesem Leitbild soll der Staat die allgemeine Versorgung und Qualität der Infrastrukturdienstleistungen nicht selbst erbringen, sondern dadurch sicherstellen, dass er deren Bereitstellung und Nutzung überwacht und durch Auflagen und Mindeststandards reguliert. In der Umsetzung dieses Leitbildes wurde das Zusammenspiel zwischen staatlichen und privaten Akteuren neu ausgehandelt. Außerdem wurden die rechtlichen Kompetenzen und die politische Verantwortung verändert. Auch Fragen des Gemeinwohls und Erwartungen an die staatliche Gewährleistung wurden im öffentlichen Diskurs neu ausgehandelt.

Infrastrukturdienstleistungen repräsentieren wichtige sachliche Komponenten des Gemeinwohls. Sie stellen insofern öffentliche Güter dar, als bei ihnen keine rivalisierende Nutzung bestehen und von ihnen niemand ausgeschlossen werden soll. Diese Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur steht allerdings in einem doppelten Spannungsverhältnis: a) zur wettbewerbs- oder marktförmigen Regulierung und den Effizienz- und Profiterwartungen privater Unternehmen; und b) zu den begrenzten Ressourcen und den Handlungslogiken staatlicher Akteure. Dieses Spannungsverhältnis tritt vor allem dann hervor, wenn die infrastrukturelle Versorgung und Leistungserbringung als defizitär erscheinen.

Aktuelle Blogbeiträge

Warum Luftreinhaltung wieder für Schlagzeilen sorgt

Trügerisch ruhig wurde es um das Thema Luftreinhaltung in der Coronapandemie seit 2020. Die zeitweise Verbesserung der Luft in Großstädten, welche auf einen drastischen Rückgang des Individualverkehrs während der ersten Lockdowns zurückgeführt werden konnte, ließ sogar vielerorts Kritik an Luftreinhaltungsmaßnahmen wie Umweltzonen aufkommen. Mit dem Lockern der Corona-Maßnahmen wuchs allerdings auch wieder die Menge des Individualverkehrs in Städten an, und die Messstationen zeigten im Jahresmittel kaum signifikante Verbesserungen in der Luftqualität.

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„Sie sehen ein Problembewusstsein aber Ratlosigkeit meinerseits.“

Die vorliegenden Interviewpassagen entstammen einem Gespräch mit einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, der in der Landesärztekammer und im Hausärzteverband engagiert ist. Der Mediziner illustriert zunächst die Versorgungslage und reflektiert ihre politisch-diskursive Einordnung, bevor er einige Einblicke in seinen Versorgungsalltag gibt. Im Anschluss werden die Rationalitäten der beteiligten Akteure und ihr (Nicht-)Handeln mit Blick auf bestehende und drohende Versorgungsmängel eingeordnet. Paradigmatisch für ähnliche Gespräche verweist der Interviewte auf die strukturelle Komponente der Fehlsteuerung und beklagt die Beharrungskräfte und den starren Charakter des dominierenden Akteursarrangements.

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Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt „Gemeinwohl-relevante öffentliche Güter – die politische Organisation von Infrastrukturaufgaben im Gewährleistungsstaat“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Förderline Teilhabe und Gemeinwohl“ finanziert und ist am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen angesiedelt.

Wir untersuchen, wie Infrastrukturaufgaben als öffentliche Güter politisch konzipiert und gegenüber dem Gewährleistungsstaat eingefordert werden. Uns interessiert, in welchem Maße sich der Staat in der Organisation gemeinwohlorientierter Leistungen als Gewährleistungsstaat begreift und den an ihn gerichteten Erwartungen zu entsprechen vermag. Unser Blick richtet sich auf ausgewählte Handlungsfelder:

  • die ambulante Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
  • die Bereitstellung von städtischem Wohnraum
  • die Sicherstellung von „sauberer Luft“.

In diesen Handlungsfeldern wollen wir genauer bestimmen, welche spezifischen Entwicklungen, Probleme und Hindernisse es gibt und wie hierauf seitens der politischen VerantwortungsträgerInnen reagiert wird. Wir analysieren dabei insbesondere die konkurrierenden Bedeutungen und Rechtfertigungen für das staatliche Angebot öffentlicher Güter. Zudem wird untersucht, welche Gewährleistungsansprüche zivilgesellschaftliche Akteure an den Staat herantragen. Unter den konkurrierenden diskursiven und programmatischen Vorstellungen sollen – unter dem Aspekt der Teilhabe – die Positionen sog. „schwacher Interessengruppen“ besondere Beachtung finden.

Forschungsprozess und Forschungsergebnisse

Im Forschungsprojekt treten wir auf unterschiedliche Weise mit beteiligten Akteuren in Austausch: a) zum einen als wichtige ImpulsgeberInnen für eine Präzisierung der Fragestellungen; b) als RatgeberInnen bei der Erschließung des empirischen Feldes; und c) als NutzerInnen der Forschungsergebnisse. Der Forschungsprozess ist mithin interaktiv angelegt. In verschiedenen Kontexten werden Teilergebnisse der Untersuchung einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung und zur Diskussion gestellt: auf dieser Website (Aktuelles, Materialien, Blog), im Rahmen themenzentrierter Workshops, durch Fachtagungen, fachwissenschaftliche und allgemeine Veröffentlichungen sowie Materialien für die schulische und außerschulische Bildung.

Bildquelle: Comet Trail Hamburg Wilhelmsburg (c) Rasande Tyskar

Aktuelles

Warum Luftreinhaltung wieder für Schlagzeilen sorgt

Trügerisch ruhig wurde es um das Thema Luftreinhaltung in der Coronapandemie seit 2020. Die zeitweise Verbesserung der Luft in Großstädten, welche auf einen drastischen Rückgang des Individualverkehrs während der ersten Lockdowns zurückgeführt werden konnte, ließ sogar vielerorts Kritik an Luftreinhaltungsmaßnahmen wie Umweltzonen aufkommen. Mit dem Lockern der Corona-Maßnahmen wuchs allerdings auch wieder die Menge des Individualverkehrs in Städten an, und die Messstationen zeigten im Jahresmittel kaum signifikante Verbesserungen in der Luftqualität.

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„Sie sehen ein Problembewusstsein aber Ratlosigkeit meinerseits.“

Die vorliegenden Interviewpassagen entstammen einem Gespräch mit einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, der in der Landesärztekammer und im Hausärzteverband engagiert ist. Der Mediziner illustriert zunächst die Versorgungslage und reflektiert ihre politisch-diskursive Einordnung, bevor er einige Einblicke in seinen Versorgungsalltag gibt. Im Anschluss werden die Rationalitäten der beteiligten Akteure und ihr (Nicht-)Handeln mit Blick auf bestehende und drohende Versorgungsmängel eingeordnet. Paradigmatisch für ähnliche Gespräche verweist der Interviewte auf die strukturelle Komponente der Fehlsteuerung und beklagt die Beharrungskräfte und den starren Charakter des dominierenden Akteursarrangements.

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„Da muss das Land eigentlich den Druck auf die KV ausüben und nicht auf uns.“

Im Folgenden illustrieren einige Interviewpassagen aus einem Gespräch mit einem Bürgermeister die Herausforderungen, die sich für Kommunalpolitiker im Spannungsfeld des Landarztmangels ergeben. Zunächst wird auf die Mechanismen der lokalen Adressierung und anekdotisch auf spezifische Niederlassungsfragen eingegangen. Im Anschluss wird das eigene Engagement kritisch reflektiert und auf die Abwehrreaktionen der KV hinge-wiesen. Abschließend formuliert der Bürgermeister einige Forderungen, insbesondere mit Blick auf die Landespolitik und deren bis dato als Abwälzen empfundene Problembearbeitung.

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„Immer diese Modellprojekte, immer diese Leuchtturmprojekte. Ständig soll ich mir was ausdenken.“

Die ausgewählten Interviewpassagen illustrieren erstens die Problemwahrnehmung und -deutung aus Perspektive eines Kreisgesundheitsamts. Zweitens wird der im Kreisgebiet eingeschlagenen Pfad getesteter Maßnahmen eingeordnet und drittens auf die damit einhergehenden und darüber hinaus wirksamen Herausforderungen eingegangen. Es wird in diesem Zuge deutlich, dass einerseits finanzielle und rechtliche Hürden Herausforderungen darstellen. Andererseits ist die Mobilisierung der für innovative Versorgung relevanten Akteure selbst mit eigenen Herausforderungen verbunden.

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