„Daten sind Waffen in meiner Hand“

Wer sich mit der Autoindustrie, der Ölindustrie, der Flugzeugindustrie, der Schifffahrtsindustrie und mit der Agrarindustrie anlegt, der braucht ein sehr dickes Fell. Wie viel Kampfgeist in solch einer Person stecken muss, zeigt das Interview mit einem ehemaligen Mitarbeiter des Umweltministeriums. Die Autoindustrie wie auch das Umweltministerium hätten versucht ihn los zu werden, doch wer ihn angreife müsse wissen, was er macht.

Welche Bedeutung hat für Sie saubere Luft und warum sind Sie der Meinung, dass dieses Gut besonders wichtig ist?

Wir haben ja öffentliche Güter, wie Wasser oder eben wie Luft, die allen Menschen zur Verfügung gestellt werden müssen. Beim Wasser haben sie noch die Möglichkeit, wenn’s Wasser dreckig ist, dass sie Flaschenwasser kaufen. Aber Luft in Flaschen, das hat nicht so richtig geklappt. Das heißt der Staat ist eine Gemeinschaft und der Staat sind wir. Das ist nicht irgendjemand, der weit weg ist, sondern das sind wir alle. Deswegen ärgere ich mich oft, wenn Leute sagen „der Staat macht…“ Nein! WIR machen! Das ist unser Staat und wir sind der Staat. Und das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt wie ich unsere Demokratie, unser Gemeinwesen sehe. Wir sind der Staat. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass der Staat funktioniert. Und Luft braucht jeder zum Atmen. Und saubere Luft heißt, ich muss Luft haben, die mich nicht krank macht. Und wir wissen, dass die heutige Luftbelastung trotz der Besserung der Qualität, immer noch dazu führt, dass Menschen vorzeitig sterben.

Hier gibt’s immer wieder Leute, die versuchen zu manipulieren. Leute, die Messstationen verlegen. Diskussionen über die Frage, ob die Stationen nicht zu viel messen. Hatten wir ja auch. Eingebracht von Verkehrsministern und von Umweltministern, die versuchten zu kucken, messen wir nicht zu viel. Ich habe aber keine einzige Station gefunden, die zu viel misst. Ich habe nur welche gefunden, die zu wenig messen. Also von der Seite ist auch die Frage: Information der Bürger. Wo kommen jetzt die Daten her, die ich haben muss, um eine Beurteilung der Luftqualität durchzuführen.

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Dr. Melanie Nagel & Nadine Rechlin
Veröffentlicht am 07.12.2023

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Foto von Masha Rostovskaya auf Unsplah

Wie sollte der Staat Ihrer Meinung nach seine Aufgabe besser erfüllen?

Was ich mache, ist Staatsersatzarbeit. Das ist Arbeit, die ich von meinem Staat verlange. Dass der Daten ermittelt und die den Bürgern zur Verfügung stellt. Das ist die Aufgabe eines Staats und nichts anderes! Und es kann nicht sein, dass er diese Daten von einem Umweltverband kriegen muss. Also das ist für mich nicht das, was ich von meinem Staat verlange. Und das bedeutet, der Staat schützt die Bürger nicht vor dreckiger Luft. Die Frage, wie informiere ich über Luftreinhaltepläne? Das ist eine Aufgabe, die vor Gericht erstritten wurde, 2007, wo der Gerichtshof geurteilt hat, jeder Bürger hat ein Recht auf Information, wenn die Werte überschritten sind. Für mich ist es schon verrückt, dass man so ein Urteil überhaupt machen muss. Weil das ein Grundrecht ist, was eigentlich in der Verfassung steht, was auch in der europäischen Richtlinie steht, das man vor Gericht einklagen muss, was für mich eigentlich selbstverständlich ist. Dass man die einklagen muss, dass die DUH oder der Nabu oder der VCD klagen müssen, um die Daten zu kriegen, dass die Daten als geheim eingestuft werden, die Luftqualitäts- daten, Immissions- Emissionsdaten als geheim eingestuft werden, dass man über 5 Jahre über drei Gerichtsinstanzen gehen muss, dass Bundesbehörden sich als Büttel der Auto- industrie sehen, die sich eben nicht als das sehen, was sie eigentlich sind, nämlich Diener des Staates, Diener von uns, das ist eigentlich die Hauptproblematik, die ich da sehe, dass wir hier den Staat stärken müssen.

Von Dieselmotoren und Kaffeemaschinen

Jetzt der Fall bei VW. Der Schadenersatz, der schön in der Presse steht, der ist so hoch, weil Winterkorn genau gegen die eine Milliarde versichert ist. Selbst wir, wenn er verurteilt würde, würden wir noch die eine Milliarde als Teilnehmer der Versicherungsgesellschaft zahlen. Das finde ich so pervers, das System ist komplett pervers. Es gibt kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland. Ein Skandal! Es gab vor acht Jahren schonmal einen ersten Versuch sowas einzuführen. Der BDI hat sich dagegen gewehrt und es ist nicht gekommen. Und immer noch haben wir das nicht. Das heißt Sie müssen für jeden Fall den Einzeltäter finden im Unternehmen. Und das ist natürlich für die Staatsmacht, die Staatsanwaltschaft extrem schwierig, weil Daten vernichtet werden. Im Fall Stadler waren das 64.000 E-Mails, Winterkorn hat seine E-Mails vernichtet. Die versuchen, die wiederherzustellen. Die Formulierung der Staatsanwaltschaft lautet: Bandenmäßiger Betrug. Das ist keine Einzelperson gewesen, das war bandenmäßig, das war abgesprochen. Wo ich mich immer noch ärgere, wenn dann von kleinen Schummeleien geredet wird und von Vorkommnissen. Was sind das für Vorkommnisse? Das ist Betrug!

Wenn Sie eine Kaffeemaschine kaufen und die hat ein Wasser von 60 Grad, da schmeckt der Kaffee beschissen. Was machen Sie dann? Die geben Sie zurück! Jetzt kaufen Sie ein Auto, da steht Euro 6 drauf und es hat nicht mal Euro 1 eingehalten. Und der Staat schützt die Industrie gegen die Rückgabe dieses Autos, dass der Kunde in mühsamen Gerichtsverfahren dafür kämpfen muss. Dass unser Staat eine dreijährige Verjährungsfrist für diesen Fall hat, wurde nebenbei von Schröder zum Schutz von Maschmeyer eingefädelt. In Österreich sind das zwanzig Jahre, in Frankreich 15 Jahre. Das heißt Fristen, wo der Bürger, wo der Eigentümer von einem Fahrzeug auch die Chance hat, die Fakten zu errechnen. Dass der Kunde, der Eigentümer des Fahrzeugs keine Daten vom KWA bekommt, dass die alle als geheim angesehen werden, dass ich nicht weiß, wann ist ein Fahrzeug defekt. Das muss ich mühsam machen. Das heißt, der Bürger ist einfach in einer schlechten Position. Und dann dieses unsinnige Sammelklagegesetz. Das sind Dinge, wo man sieht, die Macht der Autoindustrie. Das reicht bis zur Besetzung der Richterstellen am BGH.

Schädigung des Gemeinwesens

Es ist ja nicht so, dass ich den einzelnen Autofahrer beschädigt habe, sondern ich habe ja alle geschädigt, weil die Luftbelastung so hoch ist. Es gibt einen Prozess, wo Israel für diesen Schaden VW verklagt. Für den Schaden an dem Gemeinwesen. Und das erwarte ich von meinem Staat auch, dass er diese Konzerne für den Schaden, den sie erzeugt haben, eben auch gegenüber der Gemeinschaft, nicht nur gegenüber den Autofahrern, zur Verantwortung zieht. Und ich komme mit diesem Gedanken hier nicht durch in Deutschland. Es gibt keine Chance da juristisch vorzugehen. Ich halte das für einen Skandal. Ich finde das unglaublich. Denn die haben uns alle geschädigt. Und zwar nicht nur die Menschen. Das ist, was die meisten immer denken: Luftbelastung in Städten. Das ist nur eines der Probleme. Wir haben die Belastung der Wälder, die Belastung der Böden, Seen, alles, weil diese Abgasemissionen auch Auswirkungen auf den Bereich Umwelt, auf die Natur haben.

Warum gibt es keine öffentliche Empörung, keinen öffentlichen Aufschrei?

Das kann ich Ihnen sagen, weil die Gegenseite mit Ihrer Marktmacht über Presse versucht zu verändern. Dagegen steht natürlich das Internet, das die Möglichkeit der Information verbessert, aber gleichzeitig auch das Risiko mit extrem falschen Daten zu arbeiten.

Da taucht ein komischer Hochschullehrer auf. Ahnungslos! Blind! Zusammen mit einem Ex-Mitarbeiter von Daimler und die sprechen über die Wirkung von NO2. Und schaffen es, dass der Minister für Verkehr die beiden zu sich holt. Es kam so weit, dass der Umweltverkehrsausschuss im EU-Parlament sich auch mit denen beschäftigen musste und die auch zitiert wurden! Und das war richtige wissenschaftliche Scheiße. Und die haben das geschafft über Wochen. Und dummerweise war ich in der Zeit, war ich zwei Wochen im Urlaub. Ich hatte wirklich alles abgeschaltet und kam wieder und habe diese verdammte Sch… gesehen. Normal hätte ich das nach einer Woche geregelt. Oder der Herr Professor aus der Universität XY, der Dinge erzählt. Ich habe mich öffentlich mit ihm angelegt. Dinge erzählt, die sind einfach faktisch falsch. Und der wird dann zitiert. Von allen möglichen Leuten. Kriegt in der Zeit eine ganze Seite, um seinen Unsinn darzustellen. Da fragt man sich, wie kann sowas sein? Wie kann ein sogenannter Mediziner, Mediziner ist er, aber ein sogenannter Wissenschaftler, auf einmal mit einer These gegen alle etablierten Wissenschaftler reden und hier sogar fast schaffen, das Thema durchzubringen. Das zeigt an der Stelle, dass wir abhängiger werden, von sogenannten Fachmeinungen. Die Frage, wie kann ein normaler Bürger noch erkennen, was stimmt und was stimmt nicht. Auch für einen Politiker. Das ist schwierig für einen Politiker. Er wird dann von der Presse, von der Marktmacht, dann auch der Industrie in die Richtung geschoben. Und er sieht sich dann in der Pflicht– wie im Fall von Scheuer–diese Thesen gerne anzunehmen.

In der Wissenschaft gibt’s eben nur richtig oder falsch und nicht zwei Meinungen. Das kann man in der politischen Diskussion machen, aber nicht beim deutschen Bund. Das ist für mich auch eine falsche Darstellung der Demokratie. Wenn ich in einer Anhörung beide Seiten zu Wort kommen lasse. In der Wissenschaft gibt es nicht Meinungen, es gibt Fakten.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, wie man da jetzt eine Verbesserung herbeiführen könnte?

Einmal Gerichte. Und Öffentlichkeit. Wir haben ja geschafft, über die Medien das Thema hochzubringen. Und man muss schon sagen, es hat noch nie unser Thema so lange eine Öffentlichkeit überlebt, wie das da. Und das nur, weil wir daran gearbeitet haben, immer wieder überlegt haben, wie können wir das Thema wieder hochbringen.

Unser Rechtssystem ist zum Glück, bis auf wenige Ausnahmen, immer noch funktionsfähig. Wir haben alle Prozesse gewonnen, aber es dauert manchmal 5 Jahre. Für uns ist es noch gut, weil wir noch als Umweltverbände stark sind. Der Einzelbürger ist natürlich deutlich schlechter, weil der da alleine kämpft. Dass gleichzeitig auf unserer Gegenseite sich auch immer mehr Anwälte betätigen, das ist dann eine „Klageindustrie“. Einfach auch eine Diffamierung: wenn man ein normales Recht vor Gericht sucht, dann ist man eine Klageindustrie. Wenn man gleichzeitig die Bürger kaputt macht durch Aushungern, durch Druck, durch Gutachten und was alles. Klageindustrie ist das Wort, das von der Autoindustrie immer wieder benutzt wurde. Als wäre es nicht das Recht des Bürgers, seine Dinge einzuklagen. Wenn er nicht Recht hat, verliert er vor Gericht. Was ist das für eine Industrie? Das kann doch nicht sein, wenn Anwälte den Bürgern ihre Dienste anbieten, damit er klagen kann, ist aus meiner Sicht ein legales, normales Verfahren. Wo ist der Staat? Eigentlich hätte der Staat die Bürger vertreten müssen vor Gericht.

Inwiefern werden Kinder, alte Menschen, kranke Menschen in dieser politischen Debatte beachtet?

Sie haben das Problem, dass die Menschen, die an den Straßen wohnen, wo die höchsten Belastungen sind, eine Selektion vorgenommen wurde. Weil nur da Leute wohnen, die entweder sich nicht ausdrücken können und kein Geld haben, oder die Sprache auch nicht können. Und das bedeutet eigentlich, dass wir hier an diesen Straßen niemanden mehr haben, der noch klagt. Das war eines unserer großen Probleme, jemanden zu finden ganz zu Beginn. Nach deutschem Recht darf nur der klagen, der hier entsprechend betroffen ist. Früher war das so. Und das ist eins der Probleme, warum diese ganzen Probleme politisch auch nicht durchschlagen. Weil das sind Nichtwähler, „der geht mich ja nichts an, der wählt mich ja nicht, von dem habe ich ja nichts“. Kurz vorm Wahltag, da findet man auch mal welche da, aber sonst ist diese Gruppe politisch nicht vertreten.

Keine Daten, kein Druck, keine Veränderung

Wir klagen über Jahre Daten ein, über Jahre, die eigentlich veröffentlicht werden müssen und nicht veröffentlicht werden. Wenn’s keine Messdaten gibt, haben Sie keine Möglichkeit. Deswegen habe ich angefangen Messungen zu machen. Bin rumgefahren im ganzen Land. Versucht die Behörden zu zwingen, Messungen vorzunehmen. Das arme Land Baden-Württemberg hat kein Messgerät gehabt für die Partikelanzahl. Jetzt warte ich seit zwei Jahren, dass sie die Messergebnisse veröffentlichen. Die sind noch am Üben haben sie vor einem halben Jahr gesagt. Egal, ob sie jetzt einen grünen, einen schwarzen, einen gelben, oder einen roten Verwaltungschef haben. Wenn Sie keinen Druck aufbauen, passiert nichts. Daten sind Waffen in meiner Hand. Je mehr ich weiß, desto mehr kann ich politisch mitarbeiten. Wir haben Immissionsmessungen gemacht, wir haben Emissionsmessungen gemacht, um zu zeigen, wie hoch die Belastung der Menschen ist. Auch mit Passivsammlern überall gearbeitet, um mehr Daten zu bekommen. Versucht zu modellieren, wie hoch die Werte sind, wo es keine Messdaten gab. Wenn Sie zeigen, zwanzig, dreißig Prozent der Menschen leben in Lärmbelastungszonen, die über den kritisch zulässigen Werten liegen, dann kann ich damit arbeiten.

Das Umweltministerium ist völlig irre, ich werde wahnsinnig mit denen. Das Umweltministerium hat gegen die Verleihung des Umweltpreises der deutschen Umweltstiftung gegen mich Veto eingelegt. Ich mache ihre Arbeit, aber ich störe sie. Also ich störe immer. Was kriegen Sie dafür? Viel Ärger. Alle meinen ich müsste ein Bundesverdienstkreuz kriegen. Nein, ich krieg Ärger, weil ich nicht aufhöre. Wenn ich aufhören würde, würde ich’s wahrscheinlich kriegen.

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