„Gerade an der Mobilität scheiden sich die Geister“

Technische Innovationen und Wirtschaftlichkeit sind in Deutschland eng verzahnt. Doch wie verhält sich dieses Duo in der Debatte um sauberer Luft und Luftqualität in deutschen Städten? In einem Interview eröffnet ein Mitarbeiter eines global agierenden, deutschen Technologieunternehmens seine Perspektive auf technischen Innovationsgeist und einer lebenswerteren Umgebung mit sauberer Luft.

Was motiviert Sie das Thema Luftreinhaltung zu bearbeiten?

Es war natürlich ganz klar das Risiko, dass die Dieseltechnologie als Ganzes aus dem Markt abgeräumt wird. Einfach aufgrund der Tatsache, dass die alten Fahrzeuge von den Abgaswerten, was Stickstoffdioxid angeht bis Euro 5 nicht gut [waren]. […]. Aber es war ganz klar das Feindbild Diesel in den Köpfen drin. Und dann war das Ziel, dieses Feindbild wieder so weit aus den Köpfen rauszubekommen, dass man aufgezeigt hat, was ist technisch möglich und was wird auch technisch auf die Straße kommen. Und das merkt man jetzt ja auch, […] wie sich die Luftqualitätsmesswerte in 2020 verbessert haben. […] Der größte Anteil der Besserung deutschlandweit lag an der Flottenerneuerung. […]. Natürlich ist es einfach und auch mal geboten, wenn’s nicht anders geht, Fahrverbote zu erlassen, aber an sich ist ein Fahrverbot eine Maßnahme, die letztlich eine Flottenerneuerung vorzieht. Nichts anderes ist es. Es bewirkt kein Umdenken im Verhalten. Es bewirkt nichts anderes. Und von daher haben wir uns immer dafür eingesetzt, dass man das Thema gesamtheitlich angeht. Dass man versucht technische Innovationen mit reinzubringen, dass man den Verkehr verstetigt und dass man auch die Radinfrastruktur ausbaut. Und dass man darüber zu einem gesamtheitlichen Konzept kommt, was dann nachhaltig was bewirkt.

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Dr. Melanie Nagel & Nadine Rechlin
Veröffentlicht am 08.11.2023

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Foto von Pablo García Saldaña auf Unsplash

Wo sehen Sie den Staat oder staatliche Organisationen in der Verantwortung für die Gewährleistung sauberer Luft?

Was unsere Ansicht hinsichtlich sauberer Luft angeht, sehen [wir] das ganz klar auch als wichtiges gesellschaftliches Gut an. Keine Frage! Die Luftgrenzwerte müssen eingehalten werden und es ist auch sinnvoll, dass es diese Luftgrenzwerte gibt, eben um insbesondere vulnerablere Gruppen zu schützen, weil dafür sind Sie ja in erster Linie da. Aber es ist wichtig, dass es sie gibt und es ist wichtig, dass man stetig dafür weiter arbeitet Luftqualität zu verbessern.
Gleichzeitig muss natürlich ein Staat gewährleisten, dass diese Grenzwerte eingehalten werden. Einerseits muss sich der Staat dabei auf das verlassen können, was ihm seine Unternehmen und privaten Akteure, die einen großen Einfluss auf die quellenbezogenen Emissionen haben, ihm erzählen. Also wie eine technische Entwicklung sich auf die Luftqualität auswirkt. Da muss man ganz klar sagen, dass da in der Vergangenheit der Staat sich einfach auf Entwicklungen verlassen hat, die so nicht eingetreten sind. […] Aber da kann der Staat dann auch relativ wenig machen. Er kann natürlich strengere quellenbezogene Regulierungen erlassen. Gleichzeitig muss er das auch immer aus einem Zusammenspiel aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Perspektive machen. Und es bringt nichts, wenn er die Grenzwerte alle auf Null setzt. Dann hat man gleichzeitig keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr und die Leute können sich nicht mehr bewegen, weil selbst eine Schuhsohle oder ein Fahrradreifen erzeugt Abrieb.
Und zum letzten, das Thema Messen. Es braucht eine vernünftige Datenlage. Und da kommt dann auch der Staat wieder ins Spiel. Der Staat sollte in erster Linie einmal eine Grundlage dafür schaffen, dass er weiß, wo tatsächlich Belastungslagen liegen und wo er gegebenenfalls einschreiten muss. Und das kriegt man eigentlich nur hin über ein engmaschiges Netzwerk [hin]. Für uns ist es natürlich auch ein Risiko, weil es bedeutet, wenn ich mehr messe, kann ich mehr finden, wo es vielleicht schlecht ist, was dann möglicherweise zur Folge hat, dass da Maßnahmen erlassen werden, die sich negativ auf die individuelle, motorisierte Mobilität auswirkt.

Was sehen Sie als die konkreten Probleme und welche Gestaltungsoptionen sehen Sie aus ihrer organisationalen Perspektive?

Also ist zum einen, dass beim Thema saubere Luft und Luftqualität einfach vieles noch nicht bekannt ist. […] Wie photochemische Prozesse tatsächlich in der Umgebungsluft ablaufen, wissen wir noch nicht. […] Da gibt’s zwar sehr detaillierte Modelle, die aber gleichzeitig auch so ihre Tücken haben. Das heißt bei dieser gesamte Datenlage müssen sich die Kollegen in den Behörden auf das berufen, was Stand der Technik und Stand der Wissenschaft ist. Aber da ist vieles noch offen.
Ich glaube einfach der Interessenausgleich oder die Abwägung verschiedener Güter ist einfach extrem schwierig. Gerade an der Mobilität scheiden sich die Geister, beziehungsweise es wird mit sehr harten Bandagen gekämpft. Ich erinnere mich an ein Zitat von Fritz Kuhn, ehemaliger Stuttgarter Bürgermeister, der meinte: ´Wenn Sie sich nicht wiederwählen lassen wollen dann gehen Sie in die Verkehrspolitik und versuchen, kommunal tatsächlich was zu verändern. Ich muss mich als Bürgermeister um jeden weggenommenen Parkplatz verkämpfen´. Also das ist zum einen eine sehr emotionalisierte Debatte und etwas, das die Menschen konkret betrifft. […]. Weil es häufig ja darum geht, dann den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Leute dazu bewegen, andere Verkehrsträger zu benutzen. Grundsätzlich auch einfach eine andere Verhaltensweise an den Tag zu legen. Und ich glaube diese Verhaltensänderung, die vielfach nötig ist, ist einfach sehr, sehr schwierig. Und ja, wenn dann noch beim Thema Mobilität und Zugang, dann eben auch noch der Zugang zur Wirtschaft, zu Verkaufsorten etc. dann möglicherweise eingeschränkt ist, dann ist das natürlich problematisch. Und das ist ja auch gerade für vulnerable Gruppen dann ein Problem, wenn man Dinge verteuert, [wenn] man eine mautbasierte Abgabe für die Städte einführt, um den Verkehr zu minimieren. Dann ist es häufig so, dass sowieso die Leute, die von einer Zersiedelung beziehungsweise von einer Gentrifizierung der Innenstadtbereiche betroffen sind, in die Außenbereiche gedrängt werden und die müssen dann auch noch bezahlen, damit sie in die Stadt einfahren dürfen. Also da die Interessenlage auszutarieren, ist extrem schwierig.

Von der autozentrierten Stadt zur lebenswerten Stadt

Nach meiner persönlichen Sicht, muss man da, wenn man was bewegen will, sehr forsch agieren und muss einfach auch mal Dinge ausprobieren. Und in Reallaboren Straßen für den PKW-Verkehr einfach mal sperren, sechs Monate abwarten und dann mal schauen, wie es die Leute eigentlich finden. Und wenn man wirklich merkt, Händler, Bewohner, Touristen, finden das doof, dann fährt man’s zurück. Wenn die aber sagen: hey, das ist cool. Wir haben jetzt hier neue Orte der Begegnung geschaffen. [Wenn] die Händler merken, dass die Leute, obwohl sie vielleicht nicht direkt vorfahren können, doch in ihre Läden kommen und da einen vernünftigen Umsatz generieren. Dann hat man was geschafft. Und ich glaube es braucht diesen Mut in den Verwaltungen, das einfach mal zu machen. Ich glaube mittlerweile ist gerade in den Stadtverwaltungen auch einfach angekommen, dass man von einer autozentrierten Stadt in Richtung lebenswerte Stadt geht, was die Stadt- und Mobilitätsentwicklung angeht. Und ich denke mal das wird auch, um den Bogen wieder zu den vulnerablen Gruppen zurück zuschließen, wird das denen zugutekommen. Das glaube ich.

Wie wird dieses Thema saubere Luft tatsächlich politisiert und wie werden möglicherweise schwache Interessen oder vulnerablere Gruppen mit eingebunden?

Also persönlich Betroffene haben das Recht es einzuklagen. Aber meistens sind das jetzt nicht die Leute, die erstens über eine gute Rechtschutzversicherung und über grundsätzlich Fähigkeiten und Mittel verfügen, so etwas mal durchzuexerzieren. Von daher braucht es starke Partner aus der Zivilgesellschaft, die das dann in die Hand nehmen, um dann den Diskurs weiterzutreiben. Aber dann hängt es auch meistens wieder an Personen oder Persönlichkeiten, die sich dann der Sache annehmen und das energisch weitertreiben. Und gerade in einem Feld, das halt sehr umkämpft ist und das dann auch vielerlei Partikularinteressen betrifft, da dann den Interessenausgleich zu finden, ist nicht einfach. Aber natürlich muss der Schutz des Lebens einen höheren Stellenwert [haben] als der Schutz der Wirtschaft. […] Ich habe natürlich jetzt auch durch die Sensibilisierung in den letzten fünf Jahren gewisse Erfahrungen gemacht, wie sich Dinge fortbewegen. Und es braucht da einfach Druck meines Erachtens, damit man vorkommt. Und als jemand der eine gewisse soziale Ausprägung hat: es muss den Schwachen eine Stimme gegeben werden. Anders kommen sie nicht zum Zuge. Wer das dann ist, das muss man sehen, aber es braucht diese Stimme, das ist keine Frage.

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