„Planung nicht nur top-down, sondern auch bottom-up“  

Interview mit dem Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V.

Das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen ist ein Verein, der mittlerweile unterschiedliche Teilorganisationen entwickelt hat: eine Beratungsstelle für gemeinschaftliche Wohnprojekte in Frankfurt, die Genossenschaftliche Immobilienagentur (Gima), die sozialverträgliche Hausverkäufe an Genossenschaften organisiert, und eine auf hessischer Ebene angesiedelte Landesberatungsstelle.

Wie andere zivilgesellschaftliche Gruppen des gemeinschaftlichen Wohnens ist auch das Netzwerk Frankfurt ein wichtiger innovativer Impulsgeber für die dortige Entwicklung von Architektur, Städtebau, Wohnungsbau, Bodenpolitik und partizipativer Stadtplanung. Doch stehen die Initiativen und das sie vertretende Netzwerk vor großen strukturellen Herausforderungen, welche im Interview geschildert werden. Die Herausforderungen haben sich im Zuge der aktuellen Zins- und Baukostensteigerungen nochmal drastisch zugespitzt, sodass aktuell viele Projekte, insbesondere jene, die sich noch in einem frühen Projektstadium befinden, vom Scheitern bedroht sind.

Geführt wurde das Interview im November 2021.

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Johanna Betz
Veröffentlicht am 06.11.2023

Sie finden die aufbereiteten Interviewpassagen auch als PDF im Bereich „Materialien und Publikationen“ 

Bildquellen:

  • www.gemeinschaftliches-wohnen.de
  • www.nika.haus

Informationen zum vorgestellten Projekt:

In Frankfurt scheint es im bundesweiten Vergleich sehr schwer und immer noch ein zäher Kampf zu sein im Hinblick auf gemeinschaftliches Wohnen. Worauf führen Sie das zurück, dass das hier so schwer ist?

Auf zwei Aspekte. Zum einen auf die bodenpolitischen Rahmenbedingungen und zum anderen auf eine wohnungsbausystematische Schwierigkeit hier im heiß umkämpften Wohnungsmarkt in Frankfurt. Bodenpolitisch hängt es damit zusammen, dass wir in Hessen und Frankfurt lange Zeit eine CDU- und auf Landesebene eine CDU- und FDP-getriebene Wohnungspolitik hatten. Bis die Zahl der Geflüchteten 2014 stieg, hatte das Land Hessen keine Wohnungspolitik mehr, weil man sagte: „Der Markt wird es schon richten! Wozu brauchen wir das noch? Man braucht höchstens Wohnungsversorgung durch die öffentliche Hand für Menschen, die sich nicht selbst am Markt versorgen können.“ Diese Haltung hatte man auch hier in Frankfurt lange.

In Frankfurt sind zwei Säulen auf dem Wohnungsmarkt relativ stark: Das eine ist die renditeorientierte Wohnraumproduktion, also Wohnen als Ware. Wohnraum wird in diesem Segment für die Mitte des Marktes gebaut und orientiert sich nicht an vielfältigen, unterschiedlichen oder neuen Bedarfen und verschiedenen Lebensphasen oder Wohnbiographien. Bei der aktuell hohen Nachfrage kriegt man alles, was ein Dach hat und vier Wände problemlos verkauft oder vermietet. Also stehen räumliche Innovation oder Quartiersqualität nicht im Fokus der Wohnraumproduzenten: Sie müssen ihre Produkte möglichst standardisiert und günstig produzieren, möglichst hochpreisig vermarkten und am Ende möglichst wenig Steuern zahlen. Das ist auch gar nicht zynisch gemeint, sondern sie sind als Unternehmen dazu verpflichtet. In Frankfurt haben verschiedenen Wohnungsbauunternehmen aus Tradition schon fast eine Monopolstellung und man scheint das auch als eine Selbstverständlichkeit zu sehen. Diese Art und Weise der Wohnraumproduktion ist in Frankfurt sehr etabliert. Daneben gibt es die zweite Säule: Die soziale Wohnraumversorgung. Die ist wichtig und ein Teil der Daseinsvorsorge für die, die sich am Wohnungsmarkt nicht selbst helfen können: Dazu zählt geförderter Wohnungsbau, wo Menschen einen Anspruch geltend machen können oder auch der Bereich der Fürsorge durch soziale Institutionen und Träger. Wir unterstützen eine dritte Säule. Diese ist am Gemeinwohl orientiert und als „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausgerichtet. Leute tun sich zusammen unter einem Leitbild, suchen eine Liegenschaft, gründen eine Genossenschaft, beauftragen ein Architekturbüro und gestalten ein Stück Stadt mit. Und das hat in Frankfurt lange gebraucht, bis es sich etabliert hat.

Erst 2009 hat eine kleine Initiative aus einzelnen Gruppen, ein paar Engagierten der Verwaltung sowie Ehrenamtlichen aus der Zivilgesellschaft gesagt: „Wir versuchen für dieses ehrenamtliche Netzwerk für gemeinschaftliches Wohnen eine erste befristete hauptamtliche Teilzeitstelle finanziert zu bekommen“. Das Amt für Wohnungswesen initiierte diese erste Projektförderung und es ermöglichte die Weiterentwicklung, denn zweifellos gilt: Ehrenamt braucht auch Hauptamt. Es war eine kleine, schleichende Initiative, die in der politischen Szene nicht viel Aufsehen erregte. Eine vorsichtige kleine Intervention, da war der Widerstand nicht hoch. Und daraus konnten wir uns stärken und erweitern.

NIKA.haus - Unverkäuflich und solidarisch wohnen im Frankfurter Bahnhofsviertel

2013 haben wir überlegt, ob wir die Koordinationsstelle auch wieder aufgeben, weil wir keinen Zugang zu Flächen oder Leerständen bekamen, obwohl es schon länger anderslautende politische Beschlüsse gab. Wir haben dann den Leerstandsmelder aus Hamburg adaptiert, weil wir dachten, wir kämen darüber an geeignete Liegenschaften oder Häuser. Aber immer waren wir zu spät, nicht vermögend genug oder hatten nicht die passenden Connections. Der Beschluss, dass in Frankfurt Konzeptverfahren eingeführt werden, war dann unsere Rettung. Das erste Konzeptverfahren, wo klar war: Jetzt gibt es eine Liegenschaft und die Gruppen können sich bewerben – das war ein Schlüsselprojekt. Seinerzeit gab es unter anderen eine Mietshäuser Syndikat Initiative und ihnen ist es gelungen, im Zeit- und im Kostenrahmen dieses Projekt auf die Beine zu stellen. Das war ein Meilenstein. Und weil das Konzeptverfahren startete, gab es in diesem Zuge eine Erweiterung der Projektförderung fürs Netzwerk. Am Anfang mussten wir ausgesprochen sparsam mit den Mitteln und den begrenzten Stundenkontingenten haushalten. Erst nach und nach wurde es besser und es läuft jetzt seit anderthalb Jahren so gut, dass man auch sehr viel arbeiten kann.

Bis 2014 hatten das Planungsdezernat und das Liegenschaftsamt eine am Gemeinwohl orientierte Bodenpolitik gar nicht auf dem Schirm. Dort gab es eine sehr marktorientierte Sicht der Dinge und vor allem der Bodenpolitik. Sehr lange war einfach die Prämisse, städtische Liegenschaften zu vermarkten, um den Haushalt zu sanieren. Wie wir wissen, beraubt man sich damit sämtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist inzwischen anders und wir hören durchaus Bedauern, dass heute der Stadt selbst für wichtige und drängende Aufgaben die Hände gebunden sind.

Wie kam es zur Gründung des Netzwerkes? Von wem ging die Initiative aus und welche Impulse werden vom Netzwerk aus für die Stadt Frankfurt formuliert?

Wir beobachten schon seit unserer Gründung, dass es ein neues Segment am Wohnungsmarkt gibt, ein Bedarf nach Wohnraum, der geflissentlich ausgeblendet wird. Wir formulieren das so: Das Netzwerk Frankfurt selbst war zu Beginn die Initiative einer Reihe von zornigen älteren Damen. Sie sagten: „Wir wollen anders wohnen als unsere Mütter und vor allem Großmütter. Wir wollen selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben. Wir wollen auch nicht ins Altersheim, wir wollen auch keinen Wohngeldantrag bei der Stadt stellen, wir brauchen im Alter auch nicht das viel zu große freistehende Einfamilienhaus. Sondern wir brauchen im Alter eine sichere, alternsgerechte Wohnung und vor allem gute Nachbarinnen und Nachbarn. Und wir wollen nicht bevormundet werden, sondern das selbstorganisiert machen“. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt eine neue Generation der Frauen haben, die einen anderen Bedarf an Wohnraum haben. Und das sind die Jahrgänge 1950 und jünger. Frauen mussten bis in die 1970er Jahre hinein die Erlaubnis der Väter oder Ehemänner einholen, wenn sie arbeiten gehen wollten. Oder als Hausfrau hatten sie kein eigenes Bankkonto. Miet- und Kaufverträge haben die Männer abgeschlossen und Frauen folgten den Wohnstandortentscheidungen und hatten damit auch kaum eine Chance für eine eigene Wohnbiographie. Und im Alter, wenn sie dann allein waren und alles schwieriger wird, fällt die neue Routine auch nicht vom Himmel. Die Babyboomer, das sind jetzt die ersten Frauen, die ins Rentenalter kommen, aber eine eigene Wohnbiographie haben. Und damit werden neue Produkte am Wohnungsmarkt eingefordert, die der Wohnungsmarkt aber nicht herstellt. Hier wird auf Bewährtes gesetzt, Grundrisse und Raumprogramme wie vor 50 Jahren, für die Mitte der Gesellschaft, die klassische Kleinfamilie. Und wir alle sind es ja auch so gewohnt. Abweichung finden wir in Frankfurt vielleicht noch in Mikroapartments, eine neue lukrative Wohnform für jüngere Singles. Zu Beginn hatten weite Teile der Frankfurter Verwaltung und Politik dieses Thema der neuen Wohnformen gar nicht auf dem Schirm. Doch seinerzeit waren die Damen laut und resolut und haben das Netzwerk gegründet.

Wie kam es zur Einführung des Konzeptvergabeverfahrens?

Wir wussten, dass es erste Städte gab, in denen Liegenschaften per Konzeptverfahren an gemeinschaftliche Wohnprojekte, Baugruppen usw. erfolgreich vergeben wurden. Zunächst hieß es in Frankfurt jedoch von der Politik oder der Stadtverwaltung immer: „Das geht nicht. Es gibt doch gar keine Rechtsgrundlage. Warum sollten im Bebauungsplan Flächen ausgewiesen werden, wo gemeinschaftliches Wohnen stattfindet? Da gibt es keine Planzeichen dafür, keine Rechtsgrundlage.“ Aber wenn es in anderen Städten doch auch geht, muss man dafür die Rechtsgrundlage schaffen! Das ist politischer Wille, kommunale Selbstverwaltung. Am Ende lag es nur am politischen Willen der Personen an den Schlüsselstellen, die entsprechenden Paragraphen zu finden und entsprechend rechtssicher auszulegen.

Für die Weiterentwicklung des Konzeptvergabeverfahrens war trotz allem der bundesweite Austausch eine riesige Hilfe. Immer wieder, auch jetzt, wenn wir vor einem Problem stehen, wo man denkt „Himmel, warum geht es nicht voran?“, ist es gut, in andere Städte zu schauen und festzustellen: „Ja, Weiterentwicklung ist nie einfach; nein, es ist nicht unmöglich, es gibt konkret hier in Frankfurt auch eine Lösung dafür“. Ein wichtiger Schritt war diese Broschüre, die wir zum Konzeptverfahren gemacht haben mit dem FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V., Bundesvereinigung. Darin beschreiben andere Städte, wie bei ihnen das Konzeptverfahren funktioniert. Und wir haben darauf basierend dann hier in Kooperation mit dem Amt für Wohnungswesen gesagt: „Wir machen mal ein erstes kleines Projekt, einen Test. Und zwar ohne Grundsatzbeschluss und großes politisches Aufsehen.“ Das war der Punkt. Auch ein Referent des Dezernenten, der sich des Themas angenommen hatte, wurde findig und hat die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Konzeptverfahren in Frankfurt geklärt: § 109 Abs. 3 Hessische Gemeindeordnung. Damit war geklärt, dass man Liegenschaften unter bestimmten Bedingungen zum Verkehrswert ausschreiben kann. Vorher hatten wir ja immer gehört „Das geht nicht, es muss immer der Höchstpreis sein.“ Das Rechtsamt war da zuvor sehr eindeutig, trotz der Hinweise, dass es in anderen Städten auch möglich sei.

Als es dann konkret darum ging, das Konzeptverfahren auf den Weg zu bringen, war ein springender Punkt, dass es einfach, unaufwändig und handhabbar sein muss, damit es für die Gruppen umsetzbar ist. Wie gelingt das? Das war eben die Mixtur aus der zuvor erarbeiteten Broschüre und den Erkenntnissen aus anderen Städten. Es hatte zuvor in Frankfurt bereits ein Bauherrenauswahlverfahren am sogenannten Naxos-Areal gegeben, aber das war zu kompliziert und zu teuer für die Bewerbergruppen. Dort hatten sich Initiativen, die nicht zum Zug gekommen waren, nachher frustriert aufgelöst, weil die Erarbeitung der Bewerbung zu umfangreich, detailreich und damit zu teuer war. Somit war die Strategie orientiert am Leitsatz: „Planung durch Projekte!“ Zunächst mal das Konzeptverfahren mit ein, zwei Projekten testen, aber klare Rahmenbedingungen setzen. In Frankfurt wurden zum Beispiel anders als in anderen Städten von Anfang an im Konzeptverfahren keine Baugemeinschaften in der Rechtsform einer späteren Eigentümergemeinschaft zugelassen. Das war inhaltlich begründet, aber auch politisch: Die gemeinschaftlichen Wohnprojekte sollen langfristig gemeinwohlorientierte Projekte bleiben und es soll nicht so sein, dass die zum Verkehrswert hergegebenen Liegenschaften als Eigentumswohnungen später den Eigentümer:innen maximale Rendite bringen. Damit würden sie ansonsten zu weiteren Miet- und Kaufpreissteigerungen beitragen.

Was ist heute das Profil der Personen, die im Netzwerk Mitglied sind und die für das Netzwerk arbeiten?

Es gibt zwei Personenkreise. Einmal uns hauptamtliche Mitarbeitende, die in der Geschäftsstelle des Netzwerks arbeiten, mit dem ehrenamtlichen Vorstand des Vereins – wir arbeiten für die kommunale Beratungsstelle, die Landesberatungsstelle und die GIMA. Wobei man sagen muss, dass die GIMA inzwischen ausgegründet und eigenständig ist. Team und Vorstand sind parteipolitisch neutral, aber wohnungspolitisch eindeutig positioniert. Und dann ist das Netzwerk ein Verein, die Mitglieder sind Initiativen und Projekte. Wir waren schon über 100 Gruppen. Aber durch Corona haben sich schon einige aufgelöst oder kommen nicht weiter. Zudem haben wir noch um die 80 Einzelmitglieder. Seit 2017 können auch Projekte jenseits der Stadtgrenze Mitglied werden, aber das forcieren wir nicht aktiv.

Wie würden Sie die Gruppe der Aktiven beschreiben und mit welchen Herausforderungen sehen sich die Projektinitiativen konfrontiert?

Viele der Leute, die sich in den Projekten engagieren, steuern entweder auf den Ruhestand zu, oder die Kinder sind aus dem Haus, oder andere Veränderungen in der Wohnbiographie bewegen sie zum Umsteuern. Vor allem aber die Älteren haben Zeit, Energie, wollen ihre Wohnsituation verbessern und finden das, was vor unserer Haustür stattfindet, sehr unpassend. Das sind in der Regel Leute, die es gewohnt sind, sich politisch einzumischen. Sie sind das Herzstück des Netzwerks, der Kreis, aus dem es aufgebaut wurde. Dann gibt es die Mietshäuser Syndikat Projekte und die jüngeren politischen Leute. Auch Single-Haushalte haben einen langen Atem. Es gibt auch Haushalte mit Kindern, die sich engagieren, aber diese Gruppe ist zahlenmäßig nicht so stark vertreten, denn sie haben üblicherweise 1000 Themen in ihrem Alltag und seltener den langen Atem, den es im Moment noch braucht, um die Hürden, die immer wieder auftauchen, zu überwinden.

Es gibt ein Vorurteil, das immer mal wieder dem Netzwerk vorgehalten wird: „Das ist doch nur was für Akademiker:innen und für Leute mit Geld.“ Ich finde diese Argumentation zynisch. Die Rahmenbedingungen sind leider so, dass man diese Kompetenzen braucht, um den Prozess durchzuhalten. Man muss als Initiative so viel Vorarbeit leisten, sich so viel streiten, so viel argumentieren, bis es zum Projekt kommt, dass man es ohne diese Kompetenzen gar nicht schafft. Die Rahmenbedingungen sind so schwierig, man braucht so viel Frustrationstoleranz, dass sich nur die durchbeißen, die sagen: „Ich will das auf alle Fälle.“ Das selektiert. Und dann kriegen wir aber von denen, die dem kritisch eingestellt sind, vorgehalten, dass eben diese Selektion stattfindet. Der Anteil geförderter Wohnungen in den Frankfurter Wohnprojekten ist fast doppelt so hoch wie im stadtweiten Durchschnitt. Insgesamt wird jedoch von Seiten des Staates in anderen Förderprogrammen, wie beispielsweise der Eigentumsförderungen, denen Geld hinterhergeworfen, die eigentlich schon genug haben. Statt dass die öffentliche Förderung einem gemeinwohlfördernden Zweck dient, steigert sie den individuellen Vermögenszuwachs. Das Baukindergeld war ein typisches Beispiel.

Die Koordinations- und Beratungsstelle wird vom Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen betrieben. Sie berät, begleitet und unterstützt Einzelpersonen, Initiativen und realisierte Wohnprojekte im Prozess des gemeinschaftlichen Wohnens. Das Ziel der Beratungsstelle ist es "Gruppen [zu] befähigen, ihre Wohnprojekte selbstorganisiert umzusetzen." (www.gemeinschaftliches-wohnen.de/beratungsstelle)

Eine andere Form von Hürden begegnet den Projekten in Teilen der Verwaltung, wenn es darum geht, Projekte aufzubauen. Wie macht man einen Bauantrag, Mindeststandards, Energie und andere Sachen? Diese ganzen Rahmenrichtlinien sind für die gewerbliche Wohnungswirtschaft gemacht. Diese Akteure muss man zwingen, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten, da sie ohne Zwang Kosten einsparen, wo es nur geht. Und man denkt immer in Mindeststandards. Jetzt kommen die Wohnprojekte und sagen: „Wir haben noch viel weitreichendere Ideen. Wir würden gerne mit weniger Autos Quartiere bauen, wir würden gerne mehr Energie sparen, Dächer begrünen und für Barrierefreiheit sorgen.“ Am Bedarf der Menschen orientiert in die Zukunft gedacht. Dann passt die Art und Weise, wie Bauen organisiert wird, nicht zur Weise, wie selbstorganisierte Projekte eigentlich Bauvorschriften bräuchten. Wenn ich beispielsweise Cluster-Grundrisse für ältere Menschen konzipiere, ist die Frage: Was gilt als eine Wohneinheit? Je nach Interpretation und Stellplatzsatzung brauche ich womöglich 50 Stellplätze für 30 Leute oder so einen Quatsch. In Frankfurt wurde das durch eine neue Stellplatzsatzung deutlich verbessert, aber in manchen Landkreisen rund um Frankfurt ist das weiterhin so. Dadurch werden die Projekte kompliziert, weil die Vorschriften nicht zu dieser anderen Seite der Wohnraumproduktion passen. 

Für die Wohnraumproduktion gibt es eingespielte Prozesse. Und das System Politik – Verwaltung – Wohnraumproduktion funktioniert derzeit vor allem in einem Segment, und das ist nicht das Segment Gemeinwohlorientierung, und schon gar nicht das Segment Selbstorganisation. Für uns ist dann die Herausforderung: „An welcher Stelle müssen wir als Netzwerk unter Umständen auch Öffentlichkeitsarbeit machen, oder die Gruppen unterstützen?“ Unser Leitbild ist Selbstorganisation und partizipative Prozesse in der Planung. Wir vertreten ein anderes Verständnis von Bürgerbeteiligung und Selbstorganisation: Planung nicht nur top-down, sondern auch bottom-up.

Wie blicken Sie auf die Landespolitik?

Es zeigt sich, dass wir in Richtung Ministerium, wo die Rahmenrichtlinien gesetzt werden, für das Thema werben müssen. Wir haben den Eindruck, da existiert noch wenig Verständnis. Sozialer Wohnungsbau ist klar. Aber wie funktioniert Gemeinnützigkeit und was sind Cluster-Grundrisse? Diese Themen sind ungewohnt. Und wenn man im suburbanen Raum mit dem klassischen Einfamilienhaus sozialisiert wurde, ist es womöglich schwierig, Cluster-Grundrisse zu verstehen und nachvollziehen zu können, dass es Menschen in anderen Lebensphasen gibt, die solche Wohnformen interessant finden. Man braucht für die Weiterentwicklung von Wohnkultur eine Vermittlungsorganisation, ein Kompetenzzentrum und einen Think-Tank. Und wir müssen auf hessischer Ebene wieder eine wohnungspolitische Haltung aufbauen. Da gab es eine Zeit lang kein Know-how mehr in diesen Abteilungen, weil man viele Jahre der Ansicht war, dass das Thema durch den Markt geregelt würde.

Perspektivisch gesehen, welche Ansätze wollen Sie in Zukunft stärker ausschöpfen oder welchen politischen Impulsen gehen Sie gerade nach?

Das Thema Bodenpreise ist ausgesprochen wichtig. Wir werden am Thema Erbbauzinssatz dranbleiben, damit der Zinssatz auf kommunaler Ebene verändert wird. Dies muss eigentlich auch für städtische Stiftungen gelten. Beim Baufeld Hilgenfeld ist es beispielsweise so, dass die Stiftungen sagen: „Wir können nicht von den drei Prozent runter“, und bei den rasant gestiegenen Bodenpreisen gehen am Ende die Erbbauzinsen, die die künftigen MieterInnen aufbringen müssen, durch die Decke. Wenn man fast 5 Euro Miete pro Quadratmeter allein fürs Grundstück zahlen soll, ohne dass nur eine einzige Wand gemauert wurde, dann ist das ist einfach unverschämt. Ich verstehe, dass Stiftungen Einnahmen für die Finanzierung ihrer mildtätigen Zwecke brauchen, aber vorher war die Fläche ein Acker. Und um sozialverträgliche Wohnkosten zu generieren, muss dieser Anteil an der Miete, der für die Erbbauzinsen aufgebracht werden muss, gedeckelt werden. Wir wollen nicht, dass durch solche Neubauprojekte Nöte entstehen, die durch Mildtätigkeit aufgefangen werden müssen.

Das andere Thema ist: Bauen und Klimaschutz. Das zusammenzudenken ist eine Herausforderung und birgt extreme Konflikte, finde ich. Das birgt auch innere Zerrissenheit. Auf der einen Seite kann es nicht sein, dass wir hier in der Stadt keinen Neubau mehr zulassen. Weil wenn wir das nicht machen, dann passiert es vor den Grenzen der Stadt im suburbanen und ländlichen Raum und dann werden da Einfamilienhausgebiete aus dem Boden gestampft, mehr Verkehrsflächen werden nötig und man ist wegen der Zersiedelung wiederum gezwungen, mit dem PKW in die Zentren zu pendeln. Und das will eigentlich keiner. Ich beobachte mit der Diskussion um Klimaschutz und Flächenversiegelung eine Tendenz hin zur Idee der Gartenstadt. Und das ist eine Tendenz der Suburbanisierung. Und ich bin eigentlich der Überzeugung, dass wir die Städte gezielt weiter verdichten müssen, um den Ursachen der Überhitzung zu entgegnen. Wie in den südeuropäischen Städten müssen sich Gebäude gegenseitig Schatten spenden und vor allem muss der sehr hohe Anteil der versiegelten Verkehrsflächen – auf denen Fahrzeuge herumstehen – deutlich reduziert werden. Und zwar nicht durch mehr Tiefgaragen, sondern durch viel mehr Carsharing – und damit sind wir wieder bei neuen Wohnformen: der Luxus liegt im Teilen.

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