Eine gemeinwohlorientierte Aktiengesellschaft?! 

Das Beispiel der nestbau AG in Tübingen

Aktiengesellschaften haben eine lange Tradition im Wohnungsbau. Viele öffentliche Wohnungsbaugesellschaften, wie die ABG Frankfurt Holding, die heute eine GmbH ist, wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Aktienbaugesellschaften mit philanthropischem Anspruch gegründet. Später, zur Zeit der Weimarer Republik, wurden einige dieser privaten Unternehmen von den Kommunen übernommen. Nach einer großen Privatisierungs- und Vermarktlichungswelle dieser Bestände in den 1990er und 2000er Jahren erlangten im Anschluss an die Finanzkrise von 2007/08 AGs schließlich entscheidenden Einfluss auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt. Einige von ihnen, wie beispielsweise die Deutsche Wohnen oder Vonovia SE, gingen aus Private Equity Fonds hervor, an welche die ehemals öffentlichen Wohnungen in den 1990er und 2000er Jahren veräußert wurden. Das hat weitreichende Folgen für die Vermögensumverteilung: Vonovia, ein Firmenkonstrukt mit über 600 Tochterkonzernen, hat 2021 von jedem eingenommenen Euro aus den Mietzahlungen der Bewohner*innen 45 Cent als Dividende an globale Aktionär*innen ausgeschüttet.

Doch es gibt auch ein anderes Beispiel: Die dezidiert gemeinwohlorientiert agierende Tübinger nestbau AG hat eine Gewinnbeschränkung in ihre Satzung eingeschrieben. Sie wurde 2010 von Gunnar Laufer-Stark gegründet. Auch bei dieser AG ist das Schaffen einer Geldanlagemöglichkeit Grundmotivation – allerdings mit dem Anspruch, qualitativ hochwertigen, langfristig bezahlbaren Wohnraum in innovativen Wohnformen zu schaffen. Im Interview erläutern Gunnar Laufer-Stark und Jördis Binroth das Agieren der AG auf dem Wohnungsmarkt in Tübingen. Welche Vorteile bietet die AG im Vergleich zur Genossenschaftsform? Was sind die limitierenden Faktoren ihrer Arbeit und wie wird der Werterhalt sichergestellt? Deutlich wird, warum sich die Mieter*innen der nestbau kaum Sorgen über steigende Stromkosten machen müssen. Zudem geht aus dem Interview die Schwierigkeit hervor, sich trotz des großen Interesses am Projekt als „Underdog“ auf einem „verrückten Markt“ zu behaupten.

Geführt wurde das Interview im Mai 2021, also noch vor den jüngsten Zins- und Baukostensteigerungen.

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Johanna Betz
Veröffentlicht am 13.10.2023

Sie finden die aufbereiteten Interviewpassagen auch als PDF im Bereich „Materialien und Publikationen“ 

Bild- und Videoquellen:

nestbau-ag.de

Informationen zum vorgestellten Projekt:

Wie definieren Sie den Begriff Gemeinwohl in der nestbau AG und was verstehen Sie unter bezahlbarem Wohnraum?

Für die nestbau geht es bei Gemeinwohl darum, dass es nicht um den Profit einiger weniger, sondern um den Benefit vieler geht. Als kurze Formel: es geht um ein wir-zentriertes Agieren, das allen etwas bringt. Gerade in der Immobilien-Branche der riesengroße Unterschied. Dass es eben nicht um einige wenige geht, sondern um so viele wie möglich.

Was bezahlbarer Wohnraum bedeutet, ist für uns relativ einfach zu beantworten. Da gibt es in aller Regel zwei Wege, wie wir das berechnen: Das eine ist eine Mietpreisbindung, in dem wir Sozialwohnungen festschreiben, bestimmte prozentuale Wohnflächen. Und das, was wir ohne Mietpreisbindung vermieten, ist in aller Regel ungefähr zehn Prozent unter dem ortsüblichen Mietspiegel angesiedelt – das heißt für uns bezahlbar.

Einschränkungen bringt dies insofern mit sich, dass wir wahrscheinlich keinen Neubau in, ich sag immer Burladingen erstellen und vermieten werden. Weil die Baukosten nicht viel geringer sind als sie in Tübingen sind. Das Grundstück ja, die Baukosten nein. Wenn ich 3.500 Euro bezahle, dann muss ich kalkulatorisch mit ca. 9,20 €/m² rauslaufen. Wenn ich mit 9,20 €/m² rauslaufe, knien sie vor mir in Tübingen nieder, in Burladingen aber sagen sie: „Schön und gut, aber leider nicht hier“. Das muss man immer einschränkend dazu sagen. Es funktioniert in den Ballungsräumen, es funktioniert in den Unistädten; es funktioniert aber nicht dort, wo die Durchschnittsmieten sehr niedrig sind.

Wir haben mit der Kommune grundbuchrechtlich die Verpflichtung vereinbart, zehn Prozent unter dem Mietspiegel zu vermieten und erhalten im Gegenzug vergünstigte Grundstücke. Wenn die Marktpreise steigen, führt das dazu, dass wir, wo immer es geht, nicht in laufenden Mietverhältnissen erhöhen, sondern wir setzen nur dann eine neue Miete fest, wenn umgezogen wird. Also die, die schon lange im Schleifmühlenweg wohnen, zahlen weniger, d.h. mehr wie zehn Prozent unter dem Mietspiegel, vielleicht fünfzehn Prozent oder mehr, weil der Mietspiegel ständig steigt. Wenn jetzt eine Inflation käme und die Mietpreise sehr stark steigen würden, würde man irgendwann gezwungen sein, auch mehr Miete zu nehmen, um dann 10 Prozent unter dem Mietspiegel zu sein. Wenn die Mieten sinken, müssen wir sie auch senken.

Was sind die limitierenden Faktoren für Ihre Tätigkeit?

Für unsere Aktivität gibt zwei limitierende Elemente: Genug Grundstücke und genug Geld, um Gebäude zu kaufen oder zu bauen. Und wir bekommen Grundstücke angeboten in größeren Umfang, wie unser Kapital wächst, das wir brauchen, um sie zu bebauen. Daher sind wir in der Situation, dass wir tatsächlich sagen können: Wenn es keine Gruppe gibt, die sagt „wollt ihr hier bauen, wir würden auch einziehen oder wir würden hier eine tolle ambulant betreute Wohngemeinschaft machen“, oder so, wenn es die nicht gibt, dann gehen wir auch nicht hin. Ich kann mir schwer vorstellen, dass wir in einem Ort bauen, wo’s überhaupt keine Bezüge gibt. Wir kriegen ein Grundstück und dann fangen wir erstmal an und schauen, was läuft da, brauchen die ambulant betreute Wohngemeinschaften für Ältere, oder was brauchen die, wie ist die Lage: mehr kleineren Wohnraum, oder mehr Familienwohnungen.

Was würden Sie sagen ist der Vorteil von einer AG, wie Ihrer, im Vergleich zu einer Genossenschaft?

Ich denke diese AG-Idee überhaupt nur zu verteilen in den Köpfen ist schon ein wichtiger Schritt. Oder eben auch zu sagen: „Hey, es gibt auch die Genossenschaft, aber was macht ihr? Was macht Sinn bei euch?“. Bei der Frage, welche Rechtsform, welche Bedingungen an diese Rechtsform geknüpft sind und welche sich für bestimmte Projektvorhaben anbieten oder nicht, sind wir oft im Gespräch und fragen: „Wie kanns jetzt mit dieser Idee weitergehen?“. Da gibt es zwei Schlagworte: Das eine ist die Selbsthilfe, und das andere ist die Gemeinwohlidee. Wenn ich eine Genossenschaft habe, habe ich auf der einen Seite Leute, die eine Wohnung haben möchten und deswegen tätig werden. Die Genossenschaft ist dafür da, Selbsthilfe zu ermöglichen. Bei der AG ist es so, dass wir das Geld von unseren Aktionären nutzen, um eben nicht für die Aktionäre tätig zu werden, sondern, um den Mietwohnraum offen zur Verfügung zu stellen – also für die Allgemeinheit anzubieten.

Zudem gibt es finanzstrukturelle Unterschiede. Wenn ich eine Genossenschaft habe, dann hat jemand einen Genossenschaftsanteil, den er kauft und den er aber auch an die Genossenschaft zurückgeben kann. Wenn nun jemand mit einer großen Einlage unterwegs ist, und das Projekt verlässt, dann hat er das Recht darauf ausgezahlt werden. Dann hat man plötzlich eine immense Geldwertsumme weniger zur Verfügung, die aber für den Bau eingeplant war. Mit dem Aktienformat haben wir mehr Sicherheit. Egal, ob jemand verkaufen möchte oder nicht, das Geld bleibt der AG erhalten, weil die Aktien nicht an die AG zurückgegeben, sondern an Dritte weiterverkauft werden. Die AG zahlt nicht zurück, sondern die Aktionäre machen das unter sich aus. Das ist in der Finanzplanung immens wichtig, dass man sich darauf verlassen kann, dass die Mittel, mit denen man plant, auch zur Verfügung stehen. Wir helfen, dass die Aktie weiterverkauft werden kann, weil an der Börse sind wir ja nicht, aber du kannst nicht kündigen. Das hat für die Gesellschaft den großen Vorteil, dass wir wissen, unser Grundkapital bleibt da.

Die Bürger-Aktiengesellschaft – Ein Erklärvideo

Quelle: https://www.nestbau-ag.de/die-buerger-ag

Das erste ist immer, dass wir Leute, die ein Wohnprojekt andenken, fragen: „Wollt ihrs für euch oder ist es für andere?“ Ein sehr schönes Beispiel war als 2016 viele Geflüchtete kamen und die Stadt Tübingen Grundstücke zur Verfügung gestellt hat und gesagt hat: „Bewerbt euch mit einem Konzept“. Wir haben ein Haus mit Wohnungen für Geflüchtete gebaut. Einer sagt: „Ich habe 2.500 Euro übrig“, jemand anders bringt 30.000 Euro ein, aber nicht um selbst einzuziehen. Es hat mit dem Selbsthilfegedanken der Genossenschaft nix zu tun. Also das ist immer die erste Frage, wenn jemand anruft: „Was habt ihr vor?“ Und die meisten sind schon Selbsthilfeprojekte und dann muss ich immer überlegen „will ich mir den doch mächtigen Apparat Aktiengesellschaft antun, oder, schlüpf ich bei einem Genossenschaftsverband unter?“

Aufwändig bei der AG ist vor allem das Geld einsammeln. Die Genossenschaft hat ein Privileg, dass teilweise Leute die, sagen wir mal, nicht so 100 Prozent astrein unterwegs sind, dazu verleitet, ihre Projekte in der Rechtsform einer Genossenschaft zu verfolgen. Das Privileg der Genossenschaft ist, wenn ich Geld einsammle, wenn ich Mitglieder werbe für die Genossenschaft, dass ich kein Wertpapierprospekt machen muss. Stichwort BaFin, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Im Wertpapierprospekt steht, wie die Risiken sind, wie viel Geld sie einsammeln wollen, in welchem Zeitraum, für was genau, sehr formalisiertes Verfahren. Ein Wertpapierprospekt hat locker hundert Seiten. Sie brauchen einen Wirtschaftsprüfer, … Als Genossenschaft können Sie in ihrem Kreis oder auch übers Internet rumgehen und sagen „Hey wir machen ein genossenschaftliches Projekt, wollt ihr Mitglied werden?“, und zack – die Leute können Mitglied werden. Wenn man es in einer anderen Rechtsform als mit einer Genossenschaft machen würde, müsste man ein Prospekt machen, zumindest ein Wertpapierinformationsblatt.

Kommunikativ gibts die Herausforderung, dass allein durch den Begriff Aktiengesellschaft ein gewisses Feindbild evoziert wird. Viele lesen Aktiengesellschaft und denken eben an Deutsche Wohnen und Vonovia und sonst was, und haben eben nicht verstanden, dass eine AG nicht per se Profitmaximierung betreiben muss. Und bei uns ist die Gemeinwohlorientierung in der Satzung der AG verhaftet. Wir haben Bezugsobergrenzen, dass maximal das dreifache der/des niedrigsten Einkommensbeziehenden dem Vorstand als Gehalt zusteht. Es gibt wahnsinnig viele regulative Mittel, die man nutzen kann, um diese AG gemeinwohlorientiert zu gestalten. Die nutzen wir.

Woher kommen die Aktionäre?

Wir haben überregional verschiedene Werbekanäle betätigt, die zu Teilen guten Rücklauf hatten und so kam es, dass mit der letzten Kapitalerhöhung der Prozentsatz, der nicht im Tübinger Landkreis wohnenden Aktionäre verhältnismäßig stark gewachsen ist. Unser am weitesten entfernter Aktionär sitzt auf der Insel Pöhl, in der Ostsee.

Wie versuchen Sie den Werterhalt der Immobilien sicherzustellen?

Es gibt zwei Dimensionen des Werterhalts. Das eine ist, was in der Bauphase und Konstruktion mitreinspielt. Wir versuchen unsere Häuser möglichst nachhaltig zu konzipieren, heißt ganz konkret, dass eben alles in einer Hand ist und bleibt. Das bedeutet, dass darüber bauliche Veränderungen hin zu anderen Nutzungsformen, die vielleicht später notwendig werden, relativ einfach umzusetzen sind. Das bedeutet in der Endkonsequenz letztlich, wenn ich ein Stockwerk mit vier Wohnungen hab, die relativ klein sind und sich das Zusammenleben in zwanzig Jahren total verändert und es eigentlich nur noch Kollektivhäuser gibt, als Beispiel, dann könnte man sagen: „Okay, wir haben auf diesem Stockwerk folgende tragenden Wände, da können aber Türdurchbrüche passieren“, und somit hab ich immer noch eine wertvolle, anpassbare, flexible Immobilie, die eben nicht nur einem einzigen Nutzungszweck gebunden ist. Das ist schonmal der erste Schritt, um es nachhaltig nutzbar zu halten.

Wir haben auf dieses Gebäude zum Beispiel eine solarthermische Anlage draufgebaut. Das heißt konkret, dass mehr als die Hälfte des Warmwassers und der Heizungsenergie von der Sonne kommen. Wir können und wollen diese Energie nicht abrechnen. Die Leute zahlen weniger Nebenkosten, weniger Heizung, wie sie in anderen Objekten zahlen würden. Das macht ein Normalvermieter, sag ich mal, nicht, denn der sagt: „Die Nebenkosten zahlen ja die Mieter. Ist mir egal, müssen die halt mehr Gas an die Stadtwerke zahlen“. Wenn je auch mal in Tübingen Häuser leerstehen, dann wird zuerst das Haus leerstehen mit der teuren Gasheizung und nicht unseres, wo die Nebenkosten bloß halb so hoch sind.

Das Zweite ist, dass bei uns die Instandsetzung eine große Rolle spielt. Die Häuser sind jung, da ist noch nicht viel zu machen. Aber wenn was ist, dann wird gleich gewartet und es ist auch im Finanzkonzept eingeplant, dass diese Immobilien auf einem guten, zuverlässigen Status bleiben. Es geht eben nicht drum, was hinzustellen und es dann zu vergessen, sondern es soll qualitativ hochwertiger Lebensraum sein und bleiben. Dementsprechend ist ein Verfall des Werts auch weniger zu erwarten, als wenn jemand ein Haus hingestellt hat und es dann so lange nicht anguckt, bis er es abreißen muss. Wir versuchen vom ersten Gedanken bis zur Ausführung ein bisschen ganzheitlicher zu denken, weil uns klar ist, dass wir nicht ein klassisches Produkt haben, aber dass wir es trotzdem mit Lebenszyklen zu tun haben.

Wie gestaltet sich das Verhältnis zu anderen Wohnungsmarktakteuren?

Angreifbar machen wir uns unter anderen insofern, weil es Interessenten gibt, die nicht gerne belegt sehen wollen, dass bezahlbarer Mietwohnraum als Wirtschaftsmöglichkeit funktioniert. Es gibt Interessensgruppen, die das überhaupt nicht lustig finden. Wer hat Interesse, dass wirkliche Baukosten tatsächlich dargelegt werden? Jemand, der Eigentumswohnungen verkauft definitiv nicht. Und leider verkaufen auch die ganzen städtischen Wohnraumgesellschaften, wenn sie hundert Wohnungen bauen, ungefähr fünfzig als Eigentumswohnungen. Die GWG Tübingen verkauft grade in Derendingen, in der nicht allerbesten Lage, Wohnungen für 7.200 Euro/m². Bei der GWG kann man immerhin noch sagen, die Bilanzen sind öffentlich. Das Geld, das sie damit verdienen, stecken sie in die 1950er-Jahre Häuser, die dringend saniert werden müssen. Aber in der Satzung von der GWG steht drin, „Schaffung von Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung“. Aber ist es noch für breite Schichten der Bevölkerung, wenn ihr in Derendingen für 7.000 Euro/m² verkauft? Dann sagen sie: „Ich kann nicht unterhalb des Marktpreises verkaufen, weil sonst kaufen es die Leute von uns und verkaufen es zwei Jahre später teurer weiter.“ Über den Punkt diskutieren wir viel. Wie kann man so was verhindern? Könnte die GWG oder die Stadt verhindern, dass Baugrund oder Wohnraum, der zur Verfügung gestellt wird, teuer weiterverkauft wird? Das ist tatsächlich rechtlich richtig schwierig. Das Ziel, dass in Tübingen der Wohnraum nicht immer teurer wird, verfolgen wir gemeinsam.

Das Objekt in Kirchheim

Man hat kein Interesse zu zeigen, dass man, wenn man das Grundstück weglässt, die reinen Baukosten für immer noch unter 3.000 Euro/m² haben kann. Weil dann würde der Käufer, die Käuferin, von der Wohnung ja checken: „Okay, da kommt noch das Grundstück dazu, aber die verdienen ja 3.000 Euro/m².“ Und das tun sie. Und wenn andere, auch seriöse, Wohnungen für 7.000 Euro/m² verkaufen, dann liegt es nahe, in Zweifel zu ziehen, dass wir sie für 3.000 Euro/m² bauen können. Und dann stehst du blöd da, wenn ein Profi dir, womöglich vor Publikum, sagt, man kann gar keine Wohnungen mehr für unter 4.000 Euro/m² bauen, und ich kleiner nestbau-Vorstand sag: „Doch, doch, das geht“. Wir bauen grade in Kirchheim, das Haus wird jetzt im Oktober bezugsfertig, für 2.600 Euro/m² ohne Grundstück. Wenn andere, die viel größer und viel erfahrener und was weiß ich sind, das sagen und eine potenzielle Aktionärin hört das, dann wird die sagen: „die Kalkulation der nestbau AG kann von A bis Z nicht stimmen“. Die geht von viel zu niedrigen Baukosten aus. Das ist ein echtes Problem. Wir haben bis jetzt bei jedem Gebäude unsere solide Kalkulation unterschritten, wir werden auch in Kirchheim wieder ein bis zwei Prozent unter den 2018 angenommenen Baukosten bleiben, aber des glaubt dir keiner.

Ein limitierender Faktor ist, wenn alle in einem verrückten Markt unterwegs sind und alle nur die Dollar-Zeichen sehen und die Quadratmeterpreise der Eigentumswohnungen steigen jedes Jahr nochmal 800 Euro/m². Dann wirst du, wenn du seriös – und wir versuchen es, seriös zu machen – unterwegs bist, nicht ernst genommen. Auf der einen Seite ist man als Underdog nicht so anerkannt mit seinen Kalkulationskompetenzen und Planungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite wollen halt die Großen auch ungern die Frage gestellt haben, wie viel Gewinn sie denn tatsächlich machen könnten oder auch de facto machen.

Wie blicken Sie auf staatliche Regulationsmechanismen?

Bei den „Neuen Nachbarn“ kann man sehr schön sehen, wie man bezahlbaren Wohnraum herstellen kann. Für das Wohnprojekt „Neue Nachbarn“ wurde eine Kommandit-Gesellschaft (Neue Nachbarn GmbH & Co. KG) gegründet, um Wohnraum explizit für Geflüchtete zu schaffen. Die Investitionen sind hier ausnahmsweise projektgebunden. Es gab eine Not und das Land Baden-Württemberg hat ein Programm aufgelegt wonach du fünfundzwanzig Prozent der Baukosten bekommen hast in Form von Geld. Das heißt, jeder, der kein Eigenkapital hatte, hätte so ein Haus hinstellen können, weil das von der Bank verlangte Eigenkapital, fünfundzwanzig Prozent, kam vom Land. Das, was unsere Kommanditisten – die Leute, die sich an dem Projekt beteiligt haben – eingebracht haben, kam on-top. Dann kannst du 8,50 Euro/m² Kaltmiete verlangen für einen Neubau 2018. Und trotzdem machen die Neuen Nachbarn drei Prozent Gewinn. Das wollten die eigentlich gar nicht, das haben wir am Anfang auch nicht versprochen. Manche spenden das. Da sieht man, wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen kann, wenn des Land Geld in die Hand nimmt und sagt: „25% kriegt ihr geschenkt“. Das sind locker mal 750 Euro/m²: „Macht was, aber ihr dürft nicht mehr Miete verlangen als so und so viel“.

Was eine Diskussion ist, die immer mehr aufkommt, ist das Stichwort Erbpacht. Das bedeutet, der Boden ist zwar genutzt aber eben nicht weg, nicht spekulativ verfügbar. Die Neuen Nachbarn sind auch Erbpacht. Über den Weg würde es funktionieren, den Weiterverkauf zu limitieren. Da wollen aber ganz viele nicht dran, auch in unserer guten und insgesamt fortschrittlichen Tübinger Stadtverwaltung. Das ist meines Erachtens ein kurzfristiges Denken. Natürlich müsste die Liegenschaftsabteilung noch zwei Leute einstellen, die die Erbbaurechte verwalten. Aber wir konnten ausrechnen, und, das Grundstück der Neuen Nachbarn läuft als Erbbaurecht zweiundsechzig Jahre oder so, irgendein ungrader Zeitraum, und in zweiundsechzig Jahren bekommt die Stadt das Doppelte von dem, was sie jetzt als Kaufpreis bekommen hätte, obwohl der Erbbauzins nicht brutal hoch ist. In einem Fall wären es 315.000 Euro gewesen, jetzt sofort in die Stadtkasse. Im anderen Fall sind es über sechzig Jahre 650.000 Euro und das Grundstück kommt zurück. Die Sorge, wir müssen dann ein Grundstück wieder nehmen, bebaut mit einem Haus, in sechzig Jahren und das sprengt uns womöglich den Haushalt, die kann ich nicht nachvollziehen. Weil da steht drin, dass sie das aufstehende Haus zum Verkehrswert wieder nehmen. Das sind so die Gründe warum gesagt wird: „Nein, wir wollen doch nicht zukünftige Generation belasten“, und unsere Argumentation ist genau umgekehrt. Was wollen unsere Enkel-kinder, wenn sie mal im Gemeinderat sitzen, noch gestalten, wenn wir jetzt allen Grund und Boden verkaufen?

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