Der Berliner Mietendeckel

Welche Fragen stellen sich für staatliche Akteure bei der Regulierung von Mietpreisen?

Mit dem Urteil des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15.04.2021 wurde beschlossen, dass der Berliner Mietendeckel, ein landesrechtliches Instrument zur Mietpreisbegrenzung, gegen die Verfassung verstößt. Damit wurde dieser Ansatz einer mieter:innen-freundlichen Neuaushandlung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft auf Landesebene „einfach formal vom Tisch gewischt“ (Süddeutsche Zeitung 18.04.2021, Prantls Blick). Für schätzungsweise 420.000 Mieter:innen in über 1,5 Millionen Wohnungen bedeutet das nun, dass sie eingesparte Mietanteile zurückzahlen müssen. Der Berliner Senat geht davon aus, dass rund 40.000 Mieter:innen dadurch in Schwierigkeiten geraten werden. Bei BörseOnline wird das Urteil als „Etappensieg für die deutschen Immobilienkonzerne“ bezeichnet.

Das Urteil zeigt, dass sich für den Gewährleistungsstaat – der vorwiegend regulierend agiert und versucht, durch Auflagen und Kontrollen die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, anstatt sie durch öffentliche Unternehmen direkt selbst bereitzustellen – und der hier in erster Linie in Form des Berliner Senats und des 2. Senats des BVerfG auftritt, die Herausforderung ergibt, bei der Mietpreisregulation politökonomische Prozesse auf dem Wohnungsmarkt zu berücksichtigen sowie sich sensibel für die komplexe Durchdringung privater und öffentlicher Bereiche bei des Wohnraumversorgung zu zeigen. Bevor genauer auf einzelne Dimensionen des Urteils eingegangen wird, wird hier zunächst auf die Entwicklung der Mietpreise in Berlin, die wohnungspolitische Strategie des Berliner Senats und der Mietendeckel selbst vorgestellt.

Um was geht es beim Berliner Mietendeckel?

Berlin verzeichnet bundesweit mit die höchsten Immobilien- und Mietpreisanstiege. Der Anstieg der Bestandsmieten belief sich von 2009-2018 auf 36% (s. Abb. 1) (Holm 2020, S. 46). Diese Entwicklung ist auf ein besonders dynamisches Bevölkerungswachstum seit Mitte der 2000er Jahre und eine lange zurückhaltende Bauaktivität zurückzuführen, ebenso wie auf die starke Rolle finanzmarktorientierter Wohnungsunternehmen, die in Berlin über 200.000 Wohneinheiten bewirtschaften. Letztere gelangten an diese Bestände im Zuge der Haushaltssanierung und Austeritätspolitik seit Mitte der 1990er, als ein Großteil der öffentlichen Bestände damals überwiegend an Private Equity Fonds privatisiert wurde. Bis 1990 unterlag ein Großteil dieser Bestände der „Wohnungsgemeinnützigkeit“, welche Steuervorteile für gemeinnützig agierende Wohnungsunternehmen vorsah, und im Gegenzug dafür „Prinzip der Kostenmiete, den Bau von Kleinwohnungen, die Dividendenbegrenzung sowie die Vermögensbindung“ vorgesehen war. Abgeschafft wurde die Wohnungsgemeinnützigkeit durch die Schwarz-Gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl im Rahmen eines Gesetzespaketes mit anderen Steuergesetzgebungsmaßnahmen – entgegen der damals klaren Empfehlung von zwei Untersuchungsausschüssen zum Fall der „Neuen Heimat“, welche beide zu dem Ergebnis kamen, dass eine Reform – aber keinesfalls die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit notwendig sei. 

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Johanna Betz
Veröffentlicht am 27. April 2021

Gliederung

Welche Fragen stellen sich staatliche Akteure bei der Regulierung von Mietpreisen?

Um was geht es beim Berliner Mietdeckel?

Was wurde mit dem Urteil „vom Tisch gewischt“ und was bedeutet das für die Forschung?

Wie reagieren die Wohnungsunternehmen, die Eigentümer:innen, der Senat und die Mieter:innenbewegung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts? 

 

Abb 1: Bestands- und Angebotsmieten in Berlin 2010-2019 (Holm 2020, S. 46)

Die dramatische Entwicklung auf den Wohnungsmärkten und ihre tiefgreifende Auswirkung auf das soziale Gefüge in den Städten hat dazu geführt, dass sich in Berlin eine breite Mieter:innenbewegung formierte, die u.a. das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ initiierte.

Auf die angespannte Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und den politischen Druck, den soziale Bewegungen aufbauten, reagierte der Rot-Rot-Grüne Senat ab 2016 mit einem Mix aus einer Reanimation klassischer wohlfahrtsstaatlicher Instrumente (Stärkung des öffentlichen Wohnungsbaus, Wiedereinführung von Förderprogrammen, Verschärfung von Zweckentfremdungsverboten) und der Entwicklung neuer Strategien mit munizipalistischen Elementen (Vorkaufsrechte, Ankaufstrategien, Grundstücksvergabe in Erbpacht). Seine wohnungspolitische Agenda lässt sich als „Dreiklang aus Neubau, Ausweitung der öffentlichen/gemeinwirtschaftlichen Bestände und einem konsequenten Mieterschutz beschreiben“ (Holm 2020, S. 51).

Zentraler Bestandteil des Mieterschutzes ist der Mietendeckel, das „Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“, welcher im Oktober 2019 beschlossen wurde. Dieses Gesetz, das jetzt für nichtig erklärt wurde und als regulierendes Instrument auf die ausbleibende Wirksamkeit bisheriger marktkonformer Maßnahmen wie „bauen, bauen, bauen“ und der Mietpreisbremse reagiert, sieht drei Regelungen für den befristeten Zeitraum von fünf Jahren vor:

  • Einen Mietenstopp, der als Stichtag den 18.06.2019 festlegt und ab 2022 inflationsbedingte Anpassungen vorsieht (s. Abb. 2).
  • Eine lageunabhängige Mietobergrenze bei Wiedervermietungen (Berliner Mietspiegel von 2014 und an Reallohnentwicklung bis 2019 angepasst).
  • Ab dem 23.11.2020 das Verbot überhöhter Mieten, welche mehr als 20% der zulässigen Mietobergrenze betragen.

Für Neubauwohnungen, die ab dem 01.01.2014 bezugsfertig wurden, modernisierte Wohnungen oder bei Härtefallregelungen für Vermieter:innen sah der Mietendeckel Ausnahmen bzw. Anpassungen vor.

Abb 2: Vor dem Stichtag 18.06.2019: Haus und Grund veröffentlicht einen Mieterhöhungs-Countdown (Stern 12.06.2019)

Laut Rainer Wild vom Berliner Mieterverein ist der Mietendeckel „eine historisch einmalige Chance für ein besseres Mietensystem, das die Defizite der ortsüblichen Vergleichsmiete vermeidet und Mietern am Ende auch leichter zu ihrem Recht verhelfen wird“ (Berliner Mieterverein 2019). Er bricht nicht nur mit dem Automatismus steigender Mieten. Im Vergleich zur Tabelle der ortsüblichen Vergleichsmiete, die für die bundesgesetzlich geregelte Mietpreisbremse Bezugsrahmen ist, können sich Mietende bei der Mietendeckel-Tabelle rasch einen Überblick darüber verschaffen, wie die vertraglich vereinbarte Miethöhe zu bewerten ist.

Der Mietendeckel zieht engere, jenseits privater Preisbildungsmechanismen zu verortende Grenzen hinsichtlich des Gestaltungsspielraums in Mietverträgen, als es die Regelung zur Mietpreisbremse, die auf Bundesebene im BGB festgeschrieben ist.

Die Mietpreisbremse, welche 2015 mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz ins BGB aufgenommen wurde, wurde jedoch vielstimmig für ihre ausbleibende Wirksamkeit kritisiert. Sie regelt, dass auf angespannten Wohnungsmärkten die Miethöhe bei Neuvermietungen nicht mehr als 10% über der örtlichen Vergleichsmiete liegen darf. Der Mietendeckel schränkt den bleibenden Spielraum weiter ein: Diese Regelung „soll anders als die bundesrechtlichen Regelungen den Marktmechanismus zur Preisbildung gerade vorübergehend aussetzen; damit stellt sie zur Mietpreisbremse ein aliud dar und verfälscht deren Regelung nicht“ (Farahat 2020, S. 606). Der Deckel war als Sofortmaßnahme gedacht, um Zeit zu überbrücken, bis andere Maßnahmen wirksam und dringende Reformen implementiert werden, wie die Ausweitung der bezahlbaren Bestände durch Neubau, evtl. auch die Vergesellschaftung großer Bestände.

Abb 3: Information zum Berliner Mietendeckel auf der Website des Mietervereins. Als überhöht gilt eine Miete, die mehr als 20 Prozent über der Obergrenze der Tabelle liegt (Berliner Mieterverein 2020)

Insgesamt erfasste die Regulierung des Mietendeckels 1,5 Millionen der 1,6 Millionen Mietwohnungen in Berlin. Am 23. November 2020 trat die zweite Stufe des Gesetzes in Kraft. Damit waren Vermieter:innen auch in laufenden Mietverhältnissen verpflichtet, von sich aus die Mieten zu reduzieren, wenn diese die festgeschriebenen Obergrenzen (s. Abb. 3) um mehr als 20% überschreiten. Die Maßnahmen resultieren Berechnungen zufolge pro Monat in verminderten Einnahmen in Höhe von 21 Millionen Euro auf Seite der Vermieter:innen (Der Spiegel 23.11.2020). Was es für einzelne Mieter:innen bedeutet, dass der Deckel nun für nichtig erklärt wurde, ist in der Zeit zu lesen.

Seit der Föderalismusreform von 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz für das „Wohnungswesen“ bei den Ländern. Dieser Bereich wurde damals aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 als konkurrierender Kompetenztitel gestrichen. Verbliebene wohnbezogene Kompetenzen, die beim Bund verbleiben und damit konkurrierende Materien sind, lauten: „das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG).

„Hinzu kommt, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber 2006 in Art. 72 Abs. 2 GG den Kompetenztitel des bürgerlichen Rechts aus der Liste derjenigen Bereiche gestrichen hat, für die der Bund nur dann die Gesetzgebungskompetenz hat, wenn einheitliches Bundesrecht „zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ notwendig ist“ (Farahat 2020, S. 605).

Gegen eine Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich Mietendeckel sprach dennoch einerseits, dass die gesetzgebende Kompetenz der Länder gesperrt sei, weil der Bundesgesetzgeber das Mietpreisrecht abschließend im BGB geregelt habe und andererseits das Argument, die Regelung sei dem bürgerlichen Recht zuzusprechen. Zutreffend sei, dass „die urbanistisch motivierte Segregationsbekämpfung nicht per se einen maßgeblichen Unterscheid zum sozialen Mietrecht des BGB begründe[t]“ (Wihl 2021).

Von vielen politischen Akteuren – wie auch vom Berliner Senat – wurde dennoch die gleichzeitige Gültigkeit von öffentlichem Mietpreisrecht und privatem Mietrecht als möglich erachtet und damit sozialpolitische Spielräume auf Landesebene eingefordert. Unter anderem auch, da die Berliner Landesverfassung, anders als die des Bundes, in Art. 8 Abs. 1 ein Recht auf Wohnen beinhaltet. 2019 wurden daher auch in anderen Bundesländern, wie in Hessen, Thüringen und Hamburg parlamentarische Initiativen für einen Mietendeckel gestartet. In Bayern wurde ein Volksbegehren „Sechs Jahre Mietenstopp“ initiiert, das jedoch der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Juli 2020 für nicht zulässig erklärt hat.

Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Berliner Gesetzes durch das BVerfG erfolgte nun aufgrund einer Normenkontrollklage durch 284 Bundestagsabgeordnete aus den Fraktionen von CDU/CSU sowie der FDP. Das Urteil des Verfassungsgerichts lautet in der Pressemitteilung:

„Da der Bundesgesetzgeber das Mietpreisrecht in den §§ 556 bis 561 BGB abschließend geregelt hat, ist aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts für die Gesetzgebungsbefugnis der Länder kein Raum. Da das MietenWoG Bln im Kern ebenfalls die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum regelt, ist esinsgesamt nichtig“ (Bundesverfassungsgericht 2021).

 

Was wurde mit dem Urteil „vom Tisch gewischt“ und was bedeutet das für die Forschung?

Das Verfassungsgericht ist in seinem Urteil der Nichtigkeit zu einem klaren Ergebnis gekommen (7:1 in der Begründung, einstimmig im Ergebnis). Das werfe, laut Tim Wihl, Gastprofessor für politische Theorie, Verfassungstheorie und rechtliche Bezüge der Politik an der HU Berlin, Licht darauf, dass der 2. Senat sich „in immer deutlicherer Weise als politökonomisch uninformiert und naiv erweist, in juristischer Hinsicht als handwerklich schwach“ (Wihl 2021).

Die Debatten um den Mietendeckel sind in vielschichtige gesellschaftswissenschaftliche Fragen verwoben. Aus den verfassten juristischen Gutachten, nicht zuletzt auch aus dem Urteil und der darin impliziten Vorstellungen von Staat, Markt und Gesellschaft ergeben sich Anknüpfungspunkte für die Forschung zu öffentlichen Gütern und Infrastrukturen. Im Folgenden werden einige Aspekte aufgegriffen, die von mir als ergründenswert für weitere Arbeiten erachtet werden. Sie werden vermutlich in ähnlicher Weise bei Debatten über andere öffentliche Güter zu finden sein und in entsprechenden Rechtssprechungen relevant werden:

Das Urteil verweist darauf, dass die „Staatspraxis und Regelungstradition“ zeige, dass im Zuge der Föderalismusreform 2006 der Kompetenztitel des Wohnungswesens sich gerade nicht auf „freifinanzierte“ Wohnungen bezogen habe (Wihl 2021). Doch eine formalistische Trennung zwischen dem „freien Wohnungsmarkt“ und dem öffentlichem Wohnungssektor– wie sie im Urteil zu finden ist – ignoriert die Tatsache, dass diese Trennung künstlich konstruiert ist (Wihl 2021) und eine vereinfachende Vorstellung darstellt, die sich mit der Neoliberalisierung der Wohnungspolitik seit den 1990er Jahren in manchen Köpfen festgesetzt hat: Schließlich ist der Wohnungsmarkt „Produkt einer […] sozialen Konstruktion, zu der der Staat einen entscheidenden Teil beisteuert“ (Bourdieu 1998, S. 38). Sowohl Angebot, als auch Nachfrage werden über die Zinspolitik, Förderprogramme, hegemoniale Familienbilder und Aufteilung von Repoduktionsarbeit bedingt. Der geförderte, soziale Wohnungsbau nicht trägergebunden und entstand und entsteht in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen und Investoren ebenso wie mit öffentlichen Unternehmen oder mit gemeinnützig agierenden Akteur:innen wie Genossenschaften. Auch wenn letztere „formell privat erscheinen mögen, [suchen sie sich aber gerade] den Marktkräften und -preisen im Modus zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation […] zu entziehen“ (Wihl 2021). Zudem wird Wohngeld an Haushalte gezahlt, die sich die Mietpreise auf dem „freien Markt“ nicht leisten können.

Positioniert hat sich der 2. Senat mit dem Urteil in der nicht einfach zu klärenden Frage nach dem Verhältnis von öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Mietpreisregulierung: Denn „je weniger sich Staat und Gesellschaft, öffentlich und privat als kategorial getrennte Sphären beschreiben lassen“ (Farahat 2020, S. 603), desto weniger lässt sich auch eine eindeutige Zuteilung von Kompetenztiteln des „Bürgerlichen Rechts“ entlang der Unterscheidung von Privatrecht (zwischen zwei paritätischen Vertragsparteien) und öffentlichem Recht (Einbezug sozialpolitischer, umwelt- oder stadtplanerischer Zwecke) vornehmen. Historisch betrachtet fand die gegenseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft im Mietpreisrecht immer wieder Ausdruck darin, dass sie von einer Überlagerung privatrechtlicher von öffentlich-rechtlichen Regulierungen gekennzeichnet war (Farahat 2020, S. 604).

Hinsichtlich seiner Verfassungskonformität stellte sich beim Mietendeckel neben der Kompetenzfrage auch die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelungen mit dem Eigentumsgrundrecht (§ 14 GG) und der Sozialbindung des Eigentums. Letztere wurde allerdings bereits im Verlauf der letzten Jahre weniger diskutiert. Die Gewichtigkeit der kompetenzrechtlichen Frage war auch ausschlaggebend für die Zuständigkeit des 2. und nicht des 1. Senats des BVerfGs.

Hinsichtlich der Eigentumsgrundrechte macht Farahat folgende Ausführungen:

„Das Gesetz steht […] im Kontext einer intensiven, von widerstreitenden Interessen und Weltanschauungen geprägten Kontroverse. Während die einen dabei einen grundlegenden ‚Akzeptanzverlust bei privaten Eigentumsrechten‘ beklagen, halten andere die Kritik am Eigentum für den demokratischen Normalfall unter dem Grundgesetz und betonen, dass auf angespannten Mietmärkten die Vertragsfreiheit als Garant für angemessene, das heißt von beiden Seiten als fair empfundene Mietpreisvereinbarungen versage, weil die Vertragsparität gestört sei. In dieser Perspektive erscheint das Berliner Gesetz vor allem als Versuch, die exkludierenden Effekte des Privateigentums zu korrigieren und im Kontext eines akuten Marktversagens zu begrenzen. […] Während auf der einen Seite die wohlstandsfördernden Effekte möglichst ungehinderter privater Verfügung über das Eigentum im Zentrum stehen, sind es auf der anderen Seite die Konflikte zwischen privaten Interessen und Gemeinwohl und die notwendig exkludierenden Effekte privatnützigen Eigentums, die den Kern der Eigentumsproblematik bilden“

(Farahat 2020, S. 603).

Wie reagieren die Wohnungsunternehmen, die Eigentümer:innen, der Senat und die Mieter:innenbewegung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts?

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen, welche in Berlin 336.000 Wohnungen besitzen, sowie einige Privatvermieter:innen werden keine Nachzahlungsforderungen stellen. Auch Vonovia, mit gut 43 000 Wohnungen in Berlin, wird auf Nachzahlungsforderungen verzichten. Der Bestand des größten börsennotierten Wohnungsunternehmens verteilt sich auf ganz Deutschland. Dass durch den Konzern Verluste in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro in Kauf genommen werden macht deutlich, dass sich das Unternehmen – welches in diesen Tagen gut 950 Millionen Euro Jahresdividende an seine Aktionäre ausschütten wird – um sein Image fürchtet, aber auch, wie hoch die Gewinnmarge bundesweit (wie international) ist. Der Aktienkurs der ebenfalls DAX-gelisteten Deutsche Wohnen, deren Bestand zu knapp 70 % in Berlin liegt, stieg im Laufe der Woche um 10 %. Sie wird auf die Rückzahlungsforderungen nicht verzichten (Süddeutsche Zeitung 16.04.2021).

Um eine drohende Welle von Kündigungen und Verdrängung zu verhindern, hat der Senat am 20.04.2021 die „Sicher-Wohnen-Hilfe“ für Mieter:innen beschlossen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin 2021). Haushalte, die ihren Nachzahlungsaufforderungen nicht über Sparguthaben nachkommen können, keine Transferleistungen beziehen und deren Einkommen verhältnismäßig gering sind (genau gesagt, deren Einkommen bis zu 280 Prozent der Bundeseinkommensgrenze beträgt), können von der Investitionsbank Berlin Darlehen als Überbrückungshilfe ausgezahlt bekommen.

Von Seiten der sozialen Bewegungen und der Mieter:innen wird von einem „dunklen Tag“ gesprochen, der dennoch positive Nebeneffekte habe. Zunächst herrscht jetzt juristisch Klarheit in der Mietendeckelfrage. So werden nun Stimmen lauter, die einen bundesrechtlich geregelten Mietenstopp befürworten und die Aktivität des bundesweiten Bündnisses Mietenstopp! Denn dein Zuhause steht auf dem Spiel wird vermutlich an Dynamik und Einflusskraft gewinnen. Dieses zivilgesellschaftliche, überparteiliche Bündnis setzt sich für einen bundesweiten Mietenstopp ein. Vor allem aber wird erwartet, dass die Entscheidung das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ stärkt. Die Rechtsmäßigkeit des Volksentscheids wurde bereits geprüft und bestätigt.

Haushalte, die jetzt aus ihrem gewählten und vertrauten Wohnumfeld und einer möglicherweise solidarischen Hausgemeinschaft vertrieben werden, werden aus sozialen Bindungen gerissen, die sich – vor allem bei nach wie vor den Alltag bestimmenden Kontaktbeschränkungen – nicht leicht ersetzen lassen. Vorgänge wie diese resultieren in starkem psychischem Stress und großem zeitlichen Ressourcenaufwand für zu leistenden Widerstand gegen Entmietung und/oder die Suche nach einem neuen Zuhause, die sich bei der derzeitigen Arbeit- und Wohnungsmarktlage nicht leicht gestaltet.

Ein bundesweiter Mietendeckel sollte so entworfen werden, dass er den Automatismus der steigenden Mieten beendet, umkehrt und die Profitmargen auf dem Wohnungsmarkt signifikant beschneidet. Juristisch sollte er, vor dem Hintergrund drängender sozialer und ökologischer Fragen der Notwendigkeit gemischter Quartiere und Städte Rechnung tragen und die Kritik am Eigentum als den demokratischen Normalfall betrachten. Eine solche verfassungsrechtskonforme Variante würde ein dringend benötigtes Instrument zum Schutz der Mieter*innen vor Verdrängung und dem psychischen Druck vor der Angst nach der nächsten Mieterhöhung darstellen und damit für dringend notwendige Entspannung sorgen.

 

Quellen 

Bourdieu, Pierre (1998): Der Einzige und sein Eigenheim. Erw. Neuausgabe 2002 Hamburg: VSA-Verlag

Farahat, Anuscheh (2020): Eigentum verpflichtet: die Sozialbindung des Eigentums am Beispiel des Berliner Mietendeckels. In: Juristen Zeitung 75 (12), S. 602. DOI: 10.1628/jz-2020-0191.

Holm, Andrej (2020): Berlin: Mehr Licht als Schatten. Wohnungspolitik unter Rot-Rot-Grün. In: Dieter Rink und Björn Egner (Hg.): Lokale Wohnungspolitik. Beispiele aus deutschen Städten. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos Verlag, S. 43–64.

Wihl, Tim (2021): Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels. Unter Mitarbeit von Fachinformationsdienst Für Internationale Und Interdisziplinäre Rechtsforschung. Online verfügbar unter Verfassungsblog, zuletzt aktualisiert am 2021, zuletzt geprüft am 25.04.2021.

Zeitungsartikel:

Der Spiegel (23.11.2020): Studie zum Berliner Mietendeckel. Vermieter verlieren pro Monat 21 Millionen Euro. Von Henning Jauernig. (zuletzt geprüft am 20.04.2021)

Die Zeit (20.04.2021): Mietendeckel in Berlin gekippt: „Durch den Mietendeckel habe ich 355 Euro pro Monat gespart“. Von Laura Dahmer und Livia Sarai Lergenmüller. (zuletzt geprüft am 20.04.2021)

Stern (12.06.2019): Streit um Berliner Mietendeckel. „Erhöhen Sie die Miete!“: Vermieterverband empört mit Countdown für Mieterhöhung. Bak/dpa. (zuletzt geprüft am 20.04.2021)

Süddeutsche Zeitung (16.04.2021): Immobilien: Vonovia steckt den Mietendeckel weg. Von Benedikt Müller-Arnold. (zuletzt geprüft am 22.04.2021)

Süddeutsche Zeitung (18.04.2021): Prantls Blick: Eigentum verpflichtet. Nur wozu? Von Heribert Prantl.  (zuletzt geprüft am 20.04.2021).

Pressemittelungen und Websites:

Berliner Mieterverein (2019): Die Mieter können leichter zu ihrem Recht kommen (zuletzt geprüft am 21.04.2021)

Berliner Mieterverein (2020): So benutzen Sie die Tabelle  (zuletzt geprüft am 21.04.2021)

Bundesverfassungsgericht (2021): Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin („Berliner Mietendeckel“) nichtig. Pressemitteilung Nr. 28/2021 vom 15. April 2021. (zuletzt geprüft am 21.04.2021)

Mietenstopp! Denn dein Zuhause steht auf dem Spiel (2021): Werde jetzt Teil der bundesweiten Kampagne Mietenstopp! (zuletzt geprüft am 21.04.2021)

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin (2021): Pressemittelung vom 20.04.2021. Sicher-Wohnen-Hilfe für Mieterinnen und Mieter. (zuletzt geprüft am 20.04.2021)

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