Warum Luftreinhaltung wieder für Schlagzeilen sorgt

Entwicklung in der Luftreinhaltung

Trügerisch ruhig wurde es um das Thema Luftreinhaltung in der Coronapandemie seit 2020. Die zeitweise Verbesserung der Luft in Großstädten, welche auf einen drastischen Rückgang des Individualverkehrs während der ersten Lockdowns zurückgeführt werden konnte, ließ sogar vielerorts Kritik an Luftreinhaltungsmaßnahmen wie Umweltzonen aufkommen. Mit dem Lockern der Corona-Maßnahmen wuchs allerdings auch wieder die Menge des Individualverkehrs in Städten an, und die Messstationen zeigten im Jahresmittel kaum signifikante Verbesserungen in der Luftqualität. So konnten in den Folgejahren nach 2020 an Messstellen, die vor der Corona-Pandemie die Emissionsgrenzwerte überschritten, wieder Überschreitungen festgestellt werden. Während deutsche Großstädte in Reaktion Fortführungen ihrer Luftreinhaltepläne verabschiedeten, um die aktuellen Grenzwerte einzuhalten, bahnen sich seit dem Oktober 2022 neue Herausforderung für die Luftreinhaltung in Deutschland an. Der Auslöser dafür ist ein Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie, die eine drastische Verschärfung der aktuellen Grenzwerte für Luftschadstoffemissionen vorsieht. Städte, die sich bis dato mit der Einhaltung der aktuellen Grenzwerte für Luftschadstoffemissionen schwer taten, sehen sich nun mit möglichen Grenzwerten konfrontiert, die eine totale Umorientierung ihrer Luftreinhaltestrategien nötig machen. Luftreinhaltemaßnahmen die 2020 noch als obsolet diskutiert wurden, scheinen mit Hinblick auf die neuen Grenzwerte als deutlich zu moderat und plötzlich muss wieder die unangenehme Diskussion um Fahrverbote zur Einhaltung der Grenzwerte geführt werden.
Mit dem Vorschlag einer Richtlinie zur Verschärfung der Grenzwerte, ging allerdings auch ein Vorschlag für die Schaffung einer Euro 7 Norm einher, welche zur Einhaltung der neuen Grenzwerte beitragen soll. Während die EU-Kommission mit neuen Grenzwerten den Druck auf Städte erhöht und mit der Euro 7 Norm auch die Automobilbranche in die Verantwortung ziehen will, stellen sich alte Fragen der Luftreinhaltung ein weiteres mal: Sind die verantwortlichen Länder und Städte mit ihrem bisherigen Instrumentarium an Maßnahmen und Strategien zur Einhaltung von Grenzwerten überhaupt fähig die schärferen Grenzwerte einzuhalten oder bedarf es hier einer kompletten Neuorientierung der Luftreinhaltung? Außerdem stellt sich die Frage, ob mit den neuen Grenzwerten und der Euro 7 Norm eine neue Klagewelle auf Städte und die Autoindustrie zukommt. Um diese Fragen zu erörtern, lohnt es sich einerseits die Vorschläge der EU-Kommission einmal genauer anzusehen und eine Vereinbarkeit mit aktuellen Strategien zur Luftreinhaltung in deutschen Großstädten zu prüfen. Andererseits gilt es, Reaktionen und Einschätzungen von Verantwortlichen in der Umsetzung der, für die neuen Grenzwerte erforderlichen, Maßnahmen und der Euro 7 Norm darzustellen und daraus die Perspektiven der Vorschläge zu erörtern.

Über diesen Beitrag:

Verfasst von Matthias Helf
Veröffentlicht am 4. Mai 2023

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Die Vorschläge der EU-Kommission

Neue Grenzwerte

Mit dem, am 26.10.22 Vorschlag zur Neufassung einer Richtlinie für bessere Luftqualität und saubere Luft in Europa hat die EU-Kommission eine signifikante Verschärfung der Grenzwerte für die Luftschadstoffe NO2 und Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5µm (PM 2,5) vorgeschlagen. Der Vorschlag bedeutet eine Anpassung der 2008 in der EU-Richtlinie 2008/50/EC festgelegten Grenzwerte von maximal 40µm/m3 NO2 und 25µm/m3 PM 2,5. Dem neuen Vorschlag der EU-Kommission folgend, sollen sich bis 2030 die NO2 – Grenzwerte auf maximal 20µm/m3 und die PM 2,5 Grenzwerte auf 10µm/m3 reduzieren. Die EU-Kommission richtet sich mit dieser Verschärfung eigenen Angaben zufolge an die Empfehlungen der WHO, welche jedoch wiederum deutlich niedrigere Grenzwerte empfiehlt. Die WHO empfiehlt bezüglich der beiden Schadstoffe Grenzwerte von maximal 10µm/m3 NO2 und maximal 5µm/m3  PM 2,5. Die Erreichung der Halbierung der NO2 Emissionen sowie die Reduzierung um mehr als der Hälfte von PM 2,5 Feinstaub soll laut des Vorschlages bis 2030 erreicht werden. Das weitere Ziel soll sogar eine komplette Vermeidung von Luftschadstoffen bis 2050 sein, wie der EU-Kommissar für Umwelt Virginijus Sinkevičius in einem Pressestatement angibt. Die Verschärfung der Grenzwerte und das Ziel einer totalen Vermeidung von schädlichen Emissionen bis 2050 wird dabei als notwendiger Bestandteil von EU-Initiativen wie dem New Green Deal, dem Zero pollution action plan und dem fit for 55 Paket erachtet.

Die neue Euro 7 Norm

Der Vorschlag einer neuen Euro 7 Norm zur Verringerung der Schadstoffemissionen von Fahrzeugen wurde am 10.11.22 von der EU-Kommission eingebracht und wird als Instrument zur Umsetzung des Zero Emission Goal verstanden. Die neue Euro 7 Norm umfasst zahlreiche Verbesserungen, Grenzwertverschärfungen und eine Erweiterung um weitere Schadstoffe. Dabei soll die Euro 7 Norm eine deutliche Verbesserung zur Euro 6 Norm darstellen, welche durch die umfangreiche Nichteinhaltung und den Dieselskandal in Kritik geraten ist. Die Euro 7 Norm soll deswegen unter anderem besser vor Manipulationen auf Emissionsprüfständen schützen. Dafür soll ein Onboard Monitoring System (OMS) in den zertifizierten Autos verbaut werden, welches Emissionsüberschreitungen erkennen und drahtlos oder über das Fahrzeugdiagnosesystem ausgelesen werden kann. Zudem sollen die messbaren Emissionswerte auf den Prüfständen sich nicht mehr so drastisch von den ausgestoßenen Emissionen während realen Fahrsituationen unterscheiden. Dafür sollen realistischere Real Driving Emission (RDE) gemessen werden. Die Euro 7 Norm soll zudem zusätzlich zu den bisher limitierten Schadstoffen Stickoxide (NOx) und Kohlenmonoxid (CO), einen Grenzwert für das emittierte Ammoniak (NH3) festlegen. Zudem soll bei Nutzfahrzeugen noch Formaldehyd (CH₂O) und Distickstoffmonoxid (N₂O) limitiert werden. Zum ersten Mal soll die Euro 7 Norm außerdem auch Emissionen von Bremsbelägen und Reifen limitieren. Diese Limitierung von Feinstaubemissionen betrifft damit zum ersten Mal auch Nicht-Verbrenner. Der Aufpreis, welcher bei Fahrzeugen mit der neuen Euro 7 Zertifizierung erwartet wird, liegt laut Berechnungen der EU-Kommission im Fall einer Neubeschaffung bei maximal 150€ Euro

Reaktionen auf die Vorschläge der EU-Kommission: Zwischen Entsetzen und verhaltenem Optimismus

Die Reaktionen auf die zwei Vorschläge der EU-Kommission zu einer signifikanten Reduzierung von Schadstoffemissionen stießen, wie zu erwarten war, auf kontroverse Reaktionen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), welche sich in den letzten Jahren durch Klagen gegen Städte und Länder zur Einhaltung von Emissionsgrenzwerten einen Namen gemacht hatte reagierte auf die Vorschläge der EU mit verhaltenem Optimismus. Der Bundesgeschäftsführer der DUH, Jürgen Resch, lobte zwar einerseits den Vorstoß der EU-Kommission als einen wichtigen Schritt zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele zur Halbierung der Emissionen bis 2030 und totalen Vermeidung bis 2050, zeigte sich gleichzeitig aber enttäuscht über den Kompromiss in der Festsetzung der neuen Grenzwerte, die erneut weit über den Empfehlungen der WHO liegen.

Bezüglich der neuen Euro 7 Norm zeigte sich die DUH noch einmal deutlich kritischer. Ihr Bundesgeschäftsführer äußerte sich deutlich enttäuscht angesichts der, in Augen der DUH, immer noch zu hohen erlaubten Grenzwerte. Als Argument dafür, dass die deutsche Automobilindustrie dazu fähig sei deutlich saubere Autos herzustellen führte er an, dass deutsche Exporte nach Kalifornien bereits höhere Standards erfüllen würden als in der Euro 7 Norm gefordert seien. Ebenso sieht die DUH in den neuen verschärften Prüfbedingungen für Dieselfahrzeuge ein Potenzial für Manipulation bei der Emissionswertmessung und dadurch einen weiteren Dieselabgas-Skandal.

Während die DUH in den beiden Vorschlägen nicht ausgeschöpftes Potenzial sieht, zeigt sich der Verband der Automobilindustrie (VDA) nahezu entsetzt angesichts der neuen Euro 7 Norm. So sieht Hildegard Müller, die Präsidentin des VDA, in der Euro 7 Norm eine kaum erfüllbare Vorgabe für die Automobilindustrie und eine existentielle Gefahr für den Automobilstandort Deutschland. Die Euro 7 Norm stehe dabei in keinem positiven Kosten-Nutzen Verhältnis und würde die Entwicklung sauberer Autos eher verlangsamen als fördern.

Ähnlich sieht das der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Er beschreibt die Vorschläge in einem Interview mit der TAZ als zeitlich unpassend. Angesichts der aktuell durch internationale Krisen ohnehin schweren Situation deutscher Automobilbauer*innen, sei die Einführung der Euro 7 Norm eine Zumutung. Auch der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Steffen Bilger bewertet die Vorschläge der EU-Kommission in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur (dpa) als unnötig da eine Verbesserung der Luftqualität auch ohne die neuen Grenzwerte erreicht werden könnten. Ebenfalls warnt er im Falle einer Umsetzung der neuen Grenzwerte vor flächendeckenden Fahrverboten.

Während die deutschen und europäischen Konservativen die neuen Grenzwerte und die Euro 7 Norm als zu weitgehend bewerten, ist der Grüne klimapolitische Sprecher im Europaparlament Michael Bloss alarmiert. Er kommentiert das Ignorieren und Unterbieten der, von der WHO empfohlenen Grenzwerte, als Ignorant gegenüber aktueller wissenschaftlicher Empfehlungen.

Die neuen Vorschläge kollidieren mit alten Problemen

Während die Vorschläge in der Politik, der Industrie und von Umweltverbänden hitzig debattiert werden und sogar schon von einem „Dieselgate der EU“ die Rede ist, erscheint ein Blick auf die Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinien und Normen als besonders wichtig. So wird die Verantwortung der Umsetzung der Richtlinien primär auf die Kommunen abgewälzt. Das Bundesumweltministerium verweist hier auf Nachfrage der Umsetzung neuer Grenzwerte, auf die Verantwortung und Zuständigkeit der Kommunen. Genau diese präsentierten sich in den letzten Jahren allerdings immer wieder als überfordert mit der Einhaltung der aktuellen Grenzwerte. Vielerorts schafften erst die Klagen von Umweltverbänden wie der DUH oder des BUND, genügend Druck für eine Einhaltung von Emissionsgrenzwerten aufzubauen (Bothner et al., 2022). Während nun vielerorts die Grenzwerte für Schadstoffemissionen eingehalten werden, konnte aus Gespräch mit Verantwortlichen aus deutschen Großstädten vielfach gehört werden, dass die aktuellen Luftreinhaltungsmaßnahmen das Maximum an möglichen Maßnahmen umfassen würden, um die Grenzwerte ohne Fahrverbote einhalten zu können.

Beispielhaft ist dafür der, am 01.02.2023 in Kraft getretene Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt München. Hier sollen in einem dreistufigen Plan immer weitreichendere Fahrverbote für alte Dieselfahrzeuge eingeführt werden, falls die Grenzwerte mit der jeweils vorangegangen Maßnahmenstufe nicht eingehalten werden könnten. Der Plan bezieht sich dabei noch auf die aktuell gültigen Grenzwerte und wird jetzt schon als zu einschneidend und mobilitätsgefährdend angesehen. Die neu vorgeschlagenen Grenzwerte wären mit dem aktuellen Plan voraussichtlich in keinem Fall einzuhalten. Die Stadt München und viele andere deutsche Großstädte haben heute also neu verabschiedete Luftreinhalteplänen die mit der Einführung neuer Grenzwerte morgen schon veraltet wären.

Die unumstritten wirksamste Maßnahme zur Einhaltung der neuen Grenzwerte ist dabei die politisch umstrittenste und unpopulärste. Allein umfassende Fahrverbote scheinen es möglich zu machen, an den Luftverschmutzung-Hotspots deutscher Großstädte die neuen Grenzwerte einhalten zu können. Würden die neuen Grenzwerte nicht eingehalten werden können, drohen den Städten erneut Klagen von Anwohner*innen und Umweltverbänden. Die Luftreinhalteklagen würden in eine zweite Runde gehen, in der die Städte deutlich weniger Maßnahmen zur Einhaltung der eingeklagten Grenzwerte ergreifen könnten. Die EU-Kommission hat mit der Euro 7 Norm zwar ein Instrument vorgeschlagen, das längerfristig zu einer Einhaltung der Grenzwerte beitragen könnte, doch scheint es, dass dieses Instrument schwer durchzusetzen ist gegen Widerstände aus der Automobilindustrie einerseits und einer konservativen Mehrheit im Europäischen Parlament andererseits. Ebenfalls scheint die Euro 7 Norm trotz aller Bemühungen nicht frei von Manipulationen auf Prüfständen zu sein. Auch hier könnte eine neue Klagewelle drohen. Durch den anhaltenden Betrieb von Verbrennungsmotoren mit E-Fuels könnten NOx- und NH3 – Emissionen außerdem noch erhöht werden wie aktuelle Studien zeigen.

Die Vorschläge der EU-Kommission erscheinen eine folgerichtige Entscheidung hinsichtlich des Zero Pollution Action Plan zu sein. Dass die neuen Grenzwerte immer noch nicht die empfohlenen Grenzwerte der WHO widerspiegeln, kann dabei zurecht kritisiert werden. Die Einführung einer Euro 7 Norm scheint dabei zwar eine hilfreiche Maßnahme zur Einhaltung der neuen Grenzwerte zu sein, zeigt aber sowohl in der politischen Umsetzung als auch in der Konzeption Probleme auf. Hier drohen Fehler aus der Euro 6 Norm wiederholt zu werden.

Am gravierendsten scheinen die Defizite in der Umsetzung der Richtlinie auf kommunaler Ebene. Behalten die betroffenen Städte ihre Strategie der Vermeidung von Fahrverboten bei und setzen keine grundlegende Strategieänderung in der Luftreinhaltung um, scheinen Klagen zur Einhaltung der neuen Grenzwerte unvermeidbar. Es bleibt zum Schluss die Beobachtung, dass die neuen Pläne der EU-Kommission auf alte Probleme in der deutschen Luftreinhaltung stoßen


Quellenverzeichnis

Bothner, Fabian/Töller, Annette Elisabeth/Schnase, Paul Philipp (2022). Do Lawsuits by ENGOs Improve Environmental Quality? Results from the Field of Air Pollution Policy in Germany, in: Sustainability, 14(11), 6592, doi.org/10.3390/su14116592.

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