„Immer diese Modellprojekte, immer diese Leuchtturmprojekte. Ständig soll ich mir was ausdenken.“

Das vorliegende Interview wurde mit einer Mitarbeiterin eines Kreisgesundheitsamts geführt. Gesundheitsämter hatten in Bezug auf die ambulante medizinische Versorgung lange Zeit keine zentrale Rolle inne. Im Rahmen vermehrt aufkommender Nachbesetzungsprobleme und im Zuge einer geforderten Vernetzung der an der Versorgung beteiligten Akteure vor Ort, erhielten Gesundheitsämter über die Möglichkeit der Einrichtung raumwirksamer Instrumente eine vermittelnde und in Teilen gestalterische Kompetenz. So verfügen kommunale Gesundheitskonferenzen und Gesundheitsregionen über eigenen Budgets zur Umsetzung versorgungsrelevanter Projekte. Die ausgewählten Interviewpassagen illustrieren erstens die Problemwahrnehmung und -deutung aus Perspektive eines Kreisgesundheitsamts. Zweitens wird der im Kreisgebiet eingeschlagenen Pfad getesteter Maßnahmen eingeordnet und drittens auf die damit einhergehenden und darüber hinaus wirksamen Herausforderungen eingegangen. Es wird in diesem Zuge deutlich, dass einerseits finanzielle und rechtliche Hürden Herausforderungen darstellen. Andererseits ist die Mobilisierung der für innovative Versorgung relevanten Akteure selbst mit eigenen Herausforderungen verbunden.

Inwiefern beschäftigen Sie sich als Kreisgesundheitsamt mit der Thematik der vertragsärztlichen Versorgung im Kreisgebiet und wie steht es um die Versorgungslage?

Wir wissen alle, dass es auf dem Land Defizite gibt. Die Problematik gibt es nicht erst seit zwei Jahren. Wir haben schon vor über zehn Jahren eine Faxabfrage gemacht bei den Ärzten […]. Glücklicherweise ist das Horrorszenario, was wir damals hatten, nie eingetreten. […] Es kommen schon noch Leute nach. Und die KV ist ja auch bemüht […]. Also wir sind ja auch Kooperationspartner. Wir machen die Projekte auch zusammen in der Regel. Also die großen Sachen machen wir auch zusammen und das muss man auch, das klappt sonst gar nicht.

Das Problem ist die Bedarfsplanung, die rein auf dem Papier gar nicht so schlecht aussieht, wie in den meisten Gebieten. […] Die Wahrheit ist, dass Sie den Hausarzt nicht mehr wechseln können. Sie nimmt keiner. Es gibt glaube ich noch zwei oder so in der Stadt […], die überhaupt noch jemanden nehmen würden. Auch die fachärztliche Versorgung ist auf dem Papier schon okay. Aber für die Leute ist es gefühlt halt anders. [… Die] Morbidität und der Altersfaktor, der spielt ja auch eine Rolle. Je älter ich bin, desto öfter gehe ich halt auch zum Arzt. [… Das] ist bei der Bedarfsplanung nicht so einberechnet, wie es müsste. Und das ist das, was viele ja auch beklagen.

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Verfasst von Andrea Futterer
Veröffentlicht am 21.06.2022

Sie finden die aufbereiteten Interviewpassagen auch in einem herunterladbaren PDF im Bereich „Materialien und Publikationen

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Werden Sie von den Bürger*innen mit ihren Anliegen direkt kontaktiert?

Die rufen jetzt nicht direkt an, aber dadurch, dass wir … Wir sind hier halt vieles: ein Gesundheitsamt, […] Selbsthilfe-Kontaktstelle, Schwangerschafts-Konfliktberatung, HIV-Beratung, Behindertenberatung […]. Das heißt, wir haben dauernd Bürgerkontakt. Also das ist bei uns ein Dauerzustand, dass der Bürger anruft, dass der Bürger kommt mit unterschiedlichsten Anliegen. Und dann kriegt man das ja alles mit. Dann merkt man ja: Die Leute haben Probleme, einen Hausarzt zu finden. […] Das kann ja sein, dass man mal unzufrieden ist mit seinem Hausarzt. Und dann wollen sie vielleicht wechseln. Und dann wissen sie: Das geht nicht, man kann nicht wechseln. Da nimmt einen keiner.

Und die Bürgermeister melden sich natürlich. Die brauchen einen Arzt, sonst kommen die Leute nicht, sonst kommen die Familien nicht. Die wollen dann da nicht bauen. Bei uns baut man ja gleich ein Haus [lacht]. […] Die sehen dann natürlich, wenn kein Arzt in erreichbarer Nähe ist. Hier sind wir ja schon Kummer gewöhnt. Also ich glaube, das was hier normal ist an Fahrzeit, ist in einer Stadt undenkbar. Hier hat nicht jede Gemeinde einen Hausarzt. Bei uns fahren Leute 30km.

Die Gesundheitsregion wird von Ihnen im Kreisgesundheitsamt verwaltet. Können Sie dieses Instrument skizzieren und auf seine Erfolge und Herausforderungen eingehen?

Die Gesundheitsregion ist für den gesamten Landkreis gedacht. […] Wir entschieden in einer sogenannten Steuerungsgruppe. Die ist besetzt mit unterschiedlichen Mitgliedern aus der KV, der Ärztekammer, den Kliniken, Jugendbeauftragte, Seniorenbeauftragte, jemand, der die Ärzte vertritt, der die Heime vertritt. […]. Mit denen kommen wir normalerweise […] ein bis zweimal im Jahr zusammen und besprechen dort: Wo ist Bedarf hier in der Region.

Früher […] haben wir eine Gesundheitskonferenz durchgeführt. Das ist eine Veranstaltung, wo wir alle Personen eingeladen haben, die im Landkreis […] mit dem Thema Gesundheitsberatung zu tun haben. Wir haben unsere Verteiler gehabt. Da wurden 100-200 Leute eingeladen und es konnte kommen, wer wollte. Wir haben zu unterschiedlichen Bereichen, […] Arbeitsgruppen gebildet. […] In der Anfangsphase haben wir dann sehr eng-maschig Arbeitskreissitzungen gehabt. Mein Kollege und ich haben diese Sachen moderiert. Wir haben Bedarfserhebungen gemacht und haben dann auch gesagt: Wo sind denn Defizite, wo sollen wir irgendwas machen? Manchmal sind Projekte besprochen worden, manchmal konnten auch aus der Arbeitsgruppe selbst Ideen entwickelt werden. Da waren keine großartigen Anträge oder so etwas notwendig. Manchmal waren es wirklich auch Kommunikationsgeschichten, also Transparenz und miteinander sprechen. Für Viele war es hilfreich, dass es ein Forum gab, wo man an einem Tisch war und wo jemand war, der dieses Forum moderiert. Die Idee war eigentlich immer, jemanden zu finden in den Foren, der dann selbst die Moderation macht und wir sind nur noch koordinierend tätig. Bei uns hat das nicht geklappt. Ich glaube es gibt keine Gesundheitsregion, wo es geklappt hat. […] Am Ende haben wir aber auch gesagt: So jetzt, wenn das Problem gelöst ist, ist die Arbeits-gruppe erstmal beendet. Und wenn jemand ein neues Problem hat, können wir das gerne wiederbeleben.

Sie beenden Arbeitsgruppen, wenn Probleme gelöst sind. Ist die ländliche Versorgung kein Problem mehr?

Also der Runde Tisch ist erstmal beendet. Weil, der hat sein Ziel erreicht. Der hat dafür gesorgt, dass eine Stelle [beim Kreis] eingerichtet wird. Die haben wir und wir haben auch jemanden eingestellt. Wenn Corona vorbei ist, dann ist schon auch die Idee, dass man nochmal einen Arbeitskreis hat, um zu besprechen: Was machen wir denn? […] Das ist schon umfangreich, was es da an Aufgaben gibt. Da gehört Netzwerkarbeit dazu. Die Idee ist schon, dass man da nochmal eine Arbeitsgruppe zusammenkriegt, die das begleitet und sagt, was braucht man denn noch? Also das ist auf keinen Fall beendet.

Die [Stelle] ist aus der Gesundheitsregion selbst entstanden. Damals hat das „Runder Tisch Ärztegewinnung“ geheißen. Wir hatten aber auch parallel noch einen Arbeitskreis Nachwuchsgewinnung Ärzte. Der lief nie wirklich gut. Da sollten eigentlich Ärzte rein, aber die kommen ja nicht. Niemand hat das hingekriegt. Der Wunsch […] war eine Arbeitsgruppe Nachwuchsgewinnung Pflege und eine Arbeitsgruppe Nachwuchsgewinnung Ärzte. Pflege läuft Bombe. Die kommen, die machen. Ärzte: nix, niente. Da kommt niemand, da meldet sich niemand. Die sprechen auch nicht mit uns. Also einige, nicht alle.

Die Gesundheitsregion entspricht auch der Logik, dass Sie als Akteur vor Ort über Ihre Problemnähe relevante Akteure zusammenbringen. Wo sehen Sie Herausforderungen in der Umsetzung der genannten Zielsetzungen?

Die Idee [der] Gesundheitsregionen ist tatsächlich gewesen: Gesundheit vor Ort vernetzen. Wobei sich das mit den Jahren verändert hat. Am Anfang sollten wir allein – wir hatten 100.000 € maximal – Projekte beantragen. Das wurde dann vergrößert. Dann sollten wir mit anderen Gesundheitsregionen gemeinsam etwas machen. Das wurde – fand ich persönlich – schwierig. Das Geld wird nicht mehr, wenn man mehr Regionen hat. […] Gesundheitsregion heißt auch: Wir sollen hier alles machen. […] Das schaffe ich gar nicht. […] Da brauchen wir jemanden, der sich kümmert.

Die Idee war eigentlich auch: Wenn jemand eine Projektidee hat, diese umsetzt und sich in der Evaluation zeigt […] dass das etwas Gutes ist […] dann rollt man es aufs Land aus. Das passt aber nicht zu dem, was Politik will. Politik will mit einem Leuchtturmprojekt dastehen und sagen: Das ist mein Projekt. Das haben wir hier entwickelt in unserem Land-kreis. Ich weiß nicht, wie oft wir das schon angemerkt haben als Gesundheitsregion: […] Immer diese Modellprojekte, immer diese Leuchtturmprojekte. Ständig soll ich mir was ausdenken. Ich bin ja kein Erfinder. Ich muss hier ständig das Rad neu erfinden. Und immer schneller, höher, weiter, schöner. Und so innovativ, dass es sich noch nie jemand aus-gedacht hat. […] Dann ist es zu Ende und es interessiert keinen, wie die Weiterfinanzierung geht. Die Weiterfinanzierung funktioniert nicht, weil, es ein Projekt ist, weil es ja niemanden gibt, der es finanzieren kann. Deswegen ist es ja ein Projekt. Dann ist es auf Eis gelegt und alle sind frustriert. Die Leute, die man eingestellt hat für diese zwei, drei Jahre. Die Bürger, die mitgemacht haben. Alle sind frustriert.

Der Gemeinsame Bundesausschuss? Ja, dann hat man das Projekt da. Das dauert aber ewig, bis da mal was passiert. […] Ich glaube, wir bräuchten als erstes mal ein Gremium, das sich auch mit den Ergebnissen unserer Projekte beschäftigt. Das gibt es nämlich nicht. Es gibt ein Gremium, das entscheidet, ob wir Fördergelder bekommen. Dieses Gremium interessiert sich aber nicht dafür, was am Ende bei den Projekten herausgekommen ist. Warum ist das so? Und warum wird nicht vor dem Ablauf gefragt: […] Wollen wir das in die Breite bringen oder wollen wir es nicht in die Breite bringen? Das sind doch teuer finanzierte Projekte. In diesem Gremium sitzen die KV, die Krankenkassen, die Landesregierung. Die entscheiden das ja. Warum ist dann am Ende nicht auch nochmal eine Sitzung oder mehrere Sitzungen, wo darüber gesprochen wird […], wie die Ergebnisse sind und was wir mit diesen Ergebnissen machen, wie man Möglichkeiten schafft, gewisse Projekte auch als Regelversorgung hinzukriegen, wenn sie gut waren. Das passiert nicht.

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